„Sexismus, so glaubte man, ist heute kein Problem mehr.
Doch das ist ein Irrtum.
Der Unterschied zu früher: Viele Frauen machen bereitwillig mit.“
Germany’s Next Topmodel mit Heidklum geht in die nächste Runde! Es werden wieder tausende junge Mädchen und Frauen vor den Fernseher sitzen. Wenn immer ich in den vergangenen Jahren mal in die Castingshow reinzappte, musste ich direkt an Benimmratgeber für Frauen der 50er und 60er Jahre denken. Ich fragte mich, ob die heutigen Medien von einem Rückschritt der Frauenemanzipation zurück zur Diskriminierung des frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts zeugen.
Werden die Erfolge der 68er Generation von den jungen Frauen heute zunichte gemacht?
Noch in den 50er Jahren hieß es in Benimmbüchern, „daß […] meistens nichts Gutes dabei herauskommt, wenn ein Mädchen ‚alles weiß und alles kennt‘.“ (Oheim 1955:124). Im Zuge der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre konnte durch die Frauenbewegung viel für die Emanzipation erreicht werden und es wurde der Grundstein gelegt, für die Freiheit und Gleichheit, mit der die Frauen heute leben. Gleichzeitig lässt sich aber in den Medien eine gegenläufige Entwicklung erkennen. Junge Frauen träumen davon, eine Karriere als Model anzustreben. In TV-Casting-Shows stellen sie sich zur Schau und lassen sich auf ihr Gewicht und ihre Größe reduzieren und lernen, unkritisch den Aufgaben der Jury zu folgen.
Was heißt eigentlich „Geschlecht“?
Laut Butler ist geschlechtliche Identität nicht vorgegeben, sondern wird durch stilisierte sich wiederholende Akte beständig konstruiert. Dabei gibt es immer auch Abweichungen in den Wiederholungen (besonders weil es kein Original gibt), was die geschlechtliche Identität instabil macht. Nichtsdestotrotz bleibt sie jedoch in dem historisch konstituierten Rahmen. Es gäbe in der Natur keine Dichotomie von Geschlechtern, sondern sie sei menschengemacht. Von dem Moment an, in dem der Arzt der Mutter verkündet: „Es ist ein Junge/Es ist ein Mädchen!“ wird das Kind in die Dichotomie aufgenommen und muss die sozialen Anforderungen erfüllen, um akzeptiert zu werden (vgl. Butler 1988). Auch Raewyn Connell geht davon aus, dass das soziale Geschlecht prozesshaft konstituiert wird. Raewyn Connell sieht Gender in Relation zu einer übergeordneten Machtstruktur und einem Symbolismus der Differenz (vgl. Connell 2006).
Das Frauenbild und die Frauenbewegung im Wandel der Zeit
Im Zuge der Machtergreifung Hitlers und dem Beginn des NS-Staats wurde Deutschland zu einem reinen Männerstaat. Die Rolle der Hausfrau und Mutter wurde idealisiert und dem Mann untergeordnet. Bis zum Krieg zog das NS-Regime alle Register, um Frauen von der Arbeit fernzuhalten. Alle Erfolge, die die Frauenbewegung bis zur Weimarer Republik erzielt hatte, wurden damit zunichte gemacht (vgl. Benz 2006:21f). Alle bestehenden Frauenverbände wurden von dem NS-Regime entweder gleichgeschaltet, oder lösten sich vorher selber auf. Dies war vorerst das Ende einer eigenständigen Frauenbewegung in Deutschland (Nave-Herz 1997:42f). Die staatlichen Frauenorganisationen gingen nicht von Frauen aus sondern von Männern und waren rein politischer Natur. Nach Kriegsausbruch wurden Frauen jedoch wieder als Arbeitskräfte gebraucht und die Erwerbstätigkeit von Frauen stieg wieder an (Benz 2006:24).
Nach Kriegsende war das quantitative Verhältnis zwischen den Geschlechtern extrem verschoben, dadurch dass so viele Männer gefallen beziehungsweise in Kriegsgefangenschaft waren (Nave-Herz 1997:47). Dies führte zu einem „erzwungenen Matriarchat“, da Frauen in vielen Fällen zum Familienoberhaupt wurden und bei ihnen nun die Hauptbelastung in der Familie lag. Vor allen Dingen Frauen waren verantwortlich für den Wiederaufbau des Landes, was in deutlichen Widerspruch zu dem stand, was ihnen zuvor an Fähigkeiten zugesprochen wurde (Nave-Herz 1997:48). Doch schon in den frühen 1950er Jahren war ein deutlicher Rückschritt der Emanzipation zu vermerken. Männer kehrten aus der Kriegsgefangenschaft zurück und untergruben die neugewonnene Selbstständigkeit der Frauen wieder, indem sie sie in soziale und finanzielle Abhängigkeit brachte. Wieder einmal wurde die Rolle der Frau auf die der Hausfrau und Mutter reduziert (Sinus Sociovison 2007).
Ende der 60er Jahre ging mit der Studentenbewegung auch eine neue Frauenbewegung einher. Durch die außerparlamentarische Opposition während der großen Koalition ab 1966 wurden neue politische Themen angesprochen und von den Revolutionsbewegungen aufgenommen. Dazu gehörte auch, bürgerliche Werte zu hinterfragen und autoritäre Strukturen abzubauen (Nave-Herz 1997:54). Innerhalb der Studentenbunde kam es bald zu Problemen zwischen den Geschlechtern, weil die antiautoritär auftretenden Männer gegenüber ihren Kolleginnen nicht bereit waren, dass Patriarchat gänzlich abzulegen. Als Reaktion darauf gründeten sich neue Frauenvereine wie etwa der „Aktionsrat zu Befreiung der Frau“ aus Mitgliedern des Sozialistischen Studentenbundes (Nave-Herz 1997:54ff). Durch die Erfolge der Frauenbewegung in den 70er Jahren waren immer mehr Frauen politisch engagiert und setzten sich vor allem in Friedensorganisationen ein. Feministinnen sahen das schon in den 80er Jahren als Gefahr, da Emanzipation dadurch zur Nebensache wurde und immer weniger Frauen sich in Frauenverbänden engagierten (Nave-Herz 1997:73).
Vergleich
Um nun herauszufinden, ob die Emanzipation der Frau in den letzten Jahrzehnten Rückschritte machte, möchte ich nun die Rolle der Frau in den Benimmratgebern der 50er und 60er Jahre mit der Rolle der Frau in der TV-Casting-Show Germany’s Next Topmodel vergleichen. Zwischen beiden Epochen liegt die Studentenbewegung und somit die Zeit der größten Erfolge der Frauenbewegung. Es sollte davon ausgegangen werden, dass sich die Rolle der Frau in der TV-Show insofern von der Frauenrolle in den Benimmratgebern unterscheidet, dass der Frau mehr Rechte zugesprochen werden – Oder ist dem nicht so?
Die Benimmratgeber der 50er Jahre
In den 50er Jahren fuhren Benimmratgeber große finanzielle Erfolge ein und erfreuten sich großer Beliebtheit. Bücher wie das „Einmaleins des guten Tons“, „Der gute Ton von heute“ oder das „ABC des guten Tons“ galten als Stütze im Alltag, gaben sie doch genau vor, wie man sich in welcher Situation zu verhalten hatte. Heute lassen sich die Bücher gut nutzen, um einen Einblick in die damalige Gesellschaft und die alltägliche Rollenverteilung zu bekommen.
Manierenratgeber gehören dabei zu der Gruppe der Sachbücher, weil es sowohl in belehrender als auch in unterhaltender Form leichtverständlich dem Leser ein Themengebiet nahebringt. Wichtig ist dabei, dass Ratgeber nicht nur Wissen im Allgemeinen behandeln, sondern vor allem verwendbares Wissen lehren (Höffer-Mehlmer 2000:155).
Den Geschlechtern wird in diesen Büchern deutlich eine Essenz zugeordnet. Es sei in der Natur der Frau, Zurückhaltung zu wahren und in der Natur des Mannes, aktiv den Alltag zu gestalten. Denn es wirke „nie schön, wenn die Frau […] der aktive Teil ist. […] immer ist für die Frau Zurückhaltung besser als Übereilung.“ (Oheim 1955:132). Es heißt, Bekanntschaften dürften nicht auf der Straße gemacht werden. Erst wenn man zufällig in ein Gespräch käme, dürfte der Mann sich der Frau vorstellen – die Dame dürfte nicht die Aktive sein.
„Eine Dame wird einen Herrn weder auf der Straße noch im Lokal ansprechen, es sei denn, sie braucht eine Auskunft oder sie hat sonst einen triftigen Grund. Wenn sie es nur tut, um eine Bekanntschaft zu machen, stellt sie sich kein gutes Zeugnis aus.“ (Oheim 1955:120).
Diese Ratschläge spiegeln die Normativität wieder, indem es heißt, die Frau stelle sich kein gutes Zeugnis aus, wenn sie Bekanntschaften auf der Straße mache. Denn dann verhalte sie sich nicht nach der Norm, wie eine Frau sein sollte.
Auch dürfe die Dame nicht um den Herrn werben, denn es sei
„noch immer ist das schönste Recht der Frau, sich umwerben zu lassen, und ihre schönste Pflicht, in weiblicher Zurückhaltung nicht den ersten, sondern den zweiten Schritt zu tun […]. Die unverblümt auf Männerjagd ausgehende Frau ist noch abstoßender als der tollste Frauenjäger […].“ (Oheim 1955:121).
Der normative Essentialismus wird auch in den Ratschlägen für Ehepartner deutlich:
„Die Frau wählt, wenn sie klug ist, Zurückhaltung als Richtschnur ihres Handelns. Wenn sie klug ist, wird sie ferner den Mann, den sie liebt, nicht mit unnötigen Fragen nach seiner „Vergangenheit“ bedrängen […].“ (Oheim 1955:126).
Nicht erwähnt wird die Vergangenheit der Frau. Als passiver Charakter wird vorausgesetzt, dass es für sie keine Vergangenheit mit anderen Partnern gab. Zudem heißt es, „daß nämlich meistens nichts Gutes dabei herauskommt, wenn ein Mädchen ‚alles weiß und alles kennt‘.“ (Oheim 1955:124). Die Frau täte also sich selbst und ihrem Partner einen Gefallen, wenn sie nicht versuche, mehr zu wissen und zu kennen als der Ehemann.
Doch nicht nur was die Vergangenheit betrifft, soll die Frau ihrem Mann Freiheiten geben. Wenn sie ihren Ehemann nicht „lächerlich“ machen will, wird sie ihn
„ruhig allein ausgehen lassen, auch wenn der gesamte Damenflour seines Betriebes mit von der Partie ist. […] Sie wird ihn bei der Heimkehr nicht gekränkt oder feindselig, sondern mit heiterer Ruhe begrüßen, ihn nicht mißtrauisch ausfragen, aber für seine Erzählungen freundliches Interesse zeigen.“ (Oheim 1955:138).
Weiterhin werden die beiden Geschlechter semiotisch, also im Kontrast zueinander, definiert:
„[…] ‚er‘ ist ein scharmanter Vertreter seines Geschlechts: ritterlich, höflich, hilfsbereit und zuvorkommend […]. Und ‚sie‘, die Ehepartnerin, sieht reizend und gepflegt aus, wenn man ihr begegnet, ist heiter und unterhaltsam […].“ (Oheim 1955:133).
Noch Ende der 1960er Jahre heißt es, die Frau brächte von Natur aus ein Gefühl für Gemütlichkeit mit sich (Graudenz, Pappritz 1968:90). Eine emanzipatorische Entwicklung zeigt sich aber insofern, dass der Frau nicht mehr nachgesagt wird, sie suche sich einen Ehemann, weil sie als passiver Teil einen aktiven Gegenpart bräuchte, sondern wegen des „Drang[s] zur restlosen Ausschöpfung dieser Fähigkeiten.“ (Graudenz, Pappritz 1968:90). Mit Fähigkeiten sind in diesem Falle die hausfraulichen, organisatorischen und auch gefühlvollen Tätigkeiten gemeint.
Essentiell sei es ein „Ihnen naturgegebenes Bedürfnis, bei allem, was Sie tun und sagen, ein wenig das Herz mitsprechen zu lassen.“ (Graudenz, Pappritz 1968:93). Auch wird die Frau stets als das schöne Geschlecht dargestellt, dem dieser Aspekt auch sehr wichtig ist:
„Sie trachten nach einer Schönheit, die mehr ist als bloßes Ebenmaß. Sie sind nicht eitel – Sie haben nur den natürlichen Hang, Ihr Äußeres den Gesetzen der Ästhetik unterzuordnen, so wie Ihr Inneres jenen der Harmonie gehorcht.“ (Graudenz, Pappritz 1968:147)
Germany’s Next Topmodel
Die seit Januar 2006 regelmäßig auf ProSieben laufende Casting-Show Germany’s Next Topmodel ist eine Kopie der erfolgreichen US-Show America‘s Next Topmodel mit Tyra Banks. Die Kamera verfolgt jeden Schritt und Tritt der bis zu 20.000 Bewerberinnen pro Staffel und die Jury wählt diejenigen aus, die ihnen am meisten gefallen. Von den gut 10.000 Bewerberinnen sind bisher nur sehr wenige – an einer Hand abzählbar – berühmt geworden und geblieben. Auf ihrem Weg zum erhofften Ruhm müssen die „Mädchen“, wie Heidi Klum sie stets nennt, viele Aufgaben („Challenges“) bestehen. „Sie lernen, wie in einer Tanzschule der fünfziger Jahre, beim Gehen ein Buch auf dem Kopf zu balancieren; dann wieder müssen sie sich halb nackt fotografieren lassen, manchmal auch mit einem Elefanten.“ (Kalle 2010). Die Jury besteht stets aus Heidi Klum mit zwei Männern, welche fast jede Staffel wechseln (Kalle 2010).
„Germany’s next Topmodel gibt vor, einen Traum erfüllen zu können, den Traum vom Topmodel. Aber keine, die ProSieben bisher zu „Germany’s next Topmodel“ gekürt hat, ist heute Topmodel. Die Gewinnerinnen sind ProSieben-Gesichter, Markenbotschafterinnen des Senders und der Show geworden.“ (Kalle 2010)
Den Kandidatinnen von Germany’s Next Topmodel werden bestimme Rollen aufgedrängt. Die Frauen reden unkontrolliert, viel und vor allem über sehr intime Themen. Zudem sind sie eifersüchtig und zickig sowie sehr auf ihr Äußeres fixiert. Allesamt befinden sie sich in einem Status extremer Unsicherheit, wissen aber gleichzeitig um ihr gutes Aussehen und bezeichnen sich selber als Kämpfernatur. Die ewigen Streitereien werden von der Show geschickt in Szene gesetzt, genauso wie das Scheitern der Frauen bei den einzelnen „Challenges“ (Buß, Pilarczyk 2010).
„Der Hype um „Germany’s next Topmodel“ ist ungebrochen, das Interesse an der Sendung ist riesengroß. Vor allem daran, wie sich die Kandidatinnen hinter den Kulissen anzicken und vor den Kameras auf Heidis Wunsch zum Affen machen.“ (Miklis 2009)
Doch genau diese Balance zwischen Fremdschämen und sexuellem Voyeurismus macht die Show so erfolgreich – nicht die Suche nach einem neuen Topmodel (Miklis 2009). Um das Frauenbild etwas genauer erfassen zu können, wurde die erste Sendung der Staffel 2012 detaillierter betrachtet.
Schon zu Beginn spricht die Off-Stimme von den 50 schönsten Mädchen Deutschlands, die sich den spektakulärsten Herausforderungen stellen. Genauso willkürlich wie das Wort „Mädchen“ an dieser Stelle für erwachsene Frauen genutzt wird, ist auch das Adjektiv „schön“. Die Jury besteht aus zwei Männern, die beide Thomas heißen, sowie dem „Weltstar“ (so wird sie angekündigt) Heidi Klum. Dazu kommt noch ein männlicher Laufstegtrainer.
Einige der Frauen stellen sich in kurzen Videos zu Beginn selber vor. Dabei fallen unter anderem folgende Sätze: „Heidi, nimm mich weiter, denn ich bin verrückt!“, „Seit der ersten Staffel habe ich Laufen geübt.“, „Ich bin immer guter Laune.“ und auch „Ich bin hier, weil ich der Welt zeigen will, dass ich was draufhabe!“. Diese Aussagen geben gut wieder, was eine junge Frau heute an Charaktereigenschaften mitbringen muss, um als interessant und schön zu gelten. Sie sollte demnach verrückt, gut gelaunt, ehrgeizig und willensstark sein. Dazu kommen noch die gutgemeinten Ratschläge von Jury und mitgereisten Familienmitgliedern der Teilnehmerinnen: „Sei natürlich und hab Spaß!“ Außerdem sei es wichtig, aufzufallen und zu kämpfen. Die Kleidung sollte so getragen werden, dass man auf Anhieb die Figur der jungen Frau sehen und bewerten kann. Dabei geht einer der beiden Männer aus der Jury sogar soweit, dass er einem Mädchen die Hose vor Publikum auszieht („Das T-Shirt ist lang genug“) und auch keinen Protest zulässt.
Später sagt genau dieses Jury-Mitglied: „Was muss ein Mädchen haben? Eine tolle Ausstrahlung! Und was muss ein Mädchen noch haben? Es muss sich bewegen können!“ Kurz nach dieser Aussage stellt sich eine junge Frau vor, die über sich selbst sagt: „Ich bin halt nicht wie ein Mädchen.“ Sie sei nur mit Jungs unterwegs und spiele Fußball. Dies brächte ihr jedoch auch Vorteile, denn sie könne sich durch ihren männlichen Charakter sicher gut durchsetzen. Die Jury bewertet sie mit: „Die war wie ein Kerl!“ und „Da laufe ich ja weiblicher!“.
Heidi Klum sagt im Allgemeinen über die Teilnehmerinnen, sie habe eine gute Auswahl von unterschiedlichen Mädchen getroffen, die alle schlank, groß und mit Charakter seien. Dies lässt die Folgerung zu, dass auch der Charakter einer jungen Frau in der Show Germany’s Next Topmodel eine Rolle spielt. Dies täuscht jedoch. Wichtig für die Teilnehmerinnen ist Körperbeherrschung, Ausstrahlung, Disziplin, Stärke, Ausdauer und Unterordnung. Sobald sich eine schüchterne Teilnehmerin vorstellt, wird ihr geraten, selbstbewusster zu werden. Bei besonders von sich überzeugten Kandidatinnen heißt es, sie sollen sich ein wenig zurücknehmen. Es werden demnach keine verschiedenen Charaktere gesucht, sondern die Mädchen haben sich einem Normcharakter anzugleichen.
Die Einteilung in „weiblich“ und „männlich“ ist insgesamt stark normativ und semiotisch geprägt und von der Jury (die zu drei Vierteln männlich ist) vorgegeben. Interessant ist dabei besonders, dass zwei der Männer aus der Jury stark ihr weibliche Eigenschaften betonen, währen den „Mädchen“ das “männliche“ abgewöhnt werden soll. Die Dominanz der Männer wird besonders in der Szene deutlich, in der einer der beiden Thomas einer Kandidatin die Hose und das Oberteil auszieht. Auf Grund seiner Position als Jury-Mitglied nimmt er sich die Macht, derart in die Persönlichkeitsrechte des Mädchens einzugreifen.
Benimmratgeber der 50er und 60er = Germany’s Next Topmodel?
Vergleicht man die beiden Rollenbilder, die von den verschiedenen Medien zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschaffen wurden, so fallen zunächst gravierende Unterschiede ins Auge. Oberflächlich sollen Frauen in der Casting-Show nicht mehr passiv und zurückhaltend auftreten, sondern von ihnen wird Kämpfergeist, Willensstärke, Ehrgeiz und Egozentrismus erwartet.
Während Frauen ihre Sexualität in den 50er und 60er Jahren noch nicht öffentlich ausleben und zeigen durften, so haben sie nun alle Möglichkeiten dazu. Selbstbestimmt stellen sich junge Frauen nun in den Medien dar und Sexualität ist überall und dauernd anwesend. Diese Hypersexualität wurde lange Zeit als Erfolg des Feminismus gesehen, führe jedoch auf lange Sicht nur zu einer stärkeren Ungleichheit (Thomann 2010). Dies wird auch in Germany’s Next Topmodel deutlich. Zwar treten die jungen Frauen als willensstarke Kämpferinnen auf, wenden dies jedoch nur gegen ihre Mitstreiterinnen an. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die jungen Frauen jegliche Persönlichkeitsrechte, ja sogar das Recht auf ihren eigenen Körper verlieren. Der maskulinen Obrigkeit (die Jury) dürfen sie nicht wiedersprechen und haben sich deren Wünschen zu beugen, selbst wenn diese in ihre Persönlichkeitsrechte eingreifen. Dies geht einher mit den Ratschlägen aus den Manierenbüchern, dass eine Frau den Mann nicht zu hinterfragen habe. Das bedeutet, dass die Kampfhaltung und der Ehrgeiz der jungen Frauen nur in Bezug auf andere Frauen gefördert wird. Nicht aber als Willensstärke gegenüber dem männlichen Geschlecht. Die Entscheidungsfreiheit, die heutzutage so oft genannt wird, wenn man den Umgang mit den jungen Frauen kritisiert, besteht insofern nicht, dass die Medien ein Bild der weiblichen Sexualität vorgeben, dem sich junge Frauen nur selten entziehen können (Thomann 2010). „Es werde ihnen vermittelt, „dass der Weg zur Selbstverwirklichung der Frau unvermeidlicherweise über die Perfektion ihres Körpers führt.“ (Thomann 2010). Hier zeigt sich ein deutlicher Kontrast zu den Benimmratgebern aus dem letzten Jahrhundert, in dem es noch hieß, dass eine Frau nach Schönheit trachten müsse, die mehr sei als bloßes Ebenmaß (Vgl. Graudenz, Pappritz 1968:147). Die Frauen waren demnach bezüglich ihres Äußeren selbstbestimmter als heute.
Die Erfolge der 68er Generation, Frauen beruflich gleichzustellen, ihnen sexuelle Eigenständigkeit zuzugestehen und sie vom Ehemann unabhängig werden zu lassen, wurden im Laufe der Zeit so ausgelegt, dass sie wieder den Männern zu Gute kamen. Weibliche Sexualität wurde nicht befreit, sondern lediglich ein männlich geschaffenes Idealbild der sexuellen Frau stark mediatisiert. Frauen lernen, ihr Aussehen und Verhalten permanent zu vergleichen und zu bewerten und dabei gegen die Konkurrentinnen anzukämpfen, um dem Mann zu gefallen.
Gleichzeitig fallen auch Parallelen zwischen den beiden Frauenbildern auf. Beide sind sehr normativ. Frauen müssen schön und emotional sein und sich gut darstellen und bewegen können. Dabei sollte sie immer gut gelaunt und unterhaltsam sein. Die Dichotomie der Geschlechter wird in beiden Fällen sehr deutlich. Es werden keine anderen geschlechtlichen Ausrichtungen (etwa weibliche Männer oder männliche Frauen) zugelassen, in den Benimmratgebern werden sie sogar gar nicht erwähnt. Bei Germany’s Next Topmodel soll den jungen Frauen alles „männliche“ ausgetrieben werden. In beiden Rollenbildern bestehen eine starke Körperfixierung und wenig Bezug auf individuelle Charaktereigenschaften. Wichtig sind nur die Unterschiede zum „Männlichen“. Dies führt in beiden Geschlechterdefinitionen zu einer Stärkung des männlichen Geschlechts und somit einer Dominanz über das weibliche Geschlecht. Frausein hat demnach nur etwas mit Gefühlsbetontheit, Schönheit, Passivität und Körperlichkeit zu tun, aber nichts mit Intelligenz, Aktivität und Individualität, was dem Mann vorenthalten ist.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Rolle der Frau heute eine andere ist, als die der 50er und 60er Jahre. Durch die Revolution der späten 60er und frühen 70er Jahre erhielt die Frau in Deutschland sehr viel mehr Chancen und Möglichkeiten. Dennoch wurde deutlich, dass genau diese Chancen oftmals so ausgelegt wurden, dass im Endeffekt immer noch die Männer die dominanten Akteure sind und die neuen Freiheiten der Frauen für sich auslegen. Überraschend ist, dass sich viele junge Frauen – getrieben von dem Druck der Medien – unkritisch und freiwillig dieser Entwicklung beugen.
Die Erfolge des Feminismus im Laufe der Zeit verliefen nie gradlinig und die Frauen hatten immer wieder mit Rückschritten zu kämpfen. Dennoch gingen die Bemühungen und Proteste weiter bis sie schließlich im Zuge der 68er Revolution vieles von dem erreichen konnten, für das über ein Jahrhundert lang gekämpft wurde. Die Generation nach den 68er wuchs mit einer bisher unbekannten Gleichheit und Freiheit der Frau auf. Diese positive Entwicklung barg die Gefahr, dass sich die Frauen der neuen Generation nicht mehr bewusst wahren, was Unterdrückung bedeuten kann. Feministische Gruppen wurden kleiner und weniger bedeutsam.
Die Analyse zeigt, dass das Rollenbild sich nicht insofern zurückgebildet hat, dass sich die Frau auf dem Stand der Frau der 50er Jahre befindet, sondern vielmehr, dass die Unterdrückung der Frau auf Basis der erkämpften Rechte voranschreitet.
Leider war es mir im Rahmen dieses Artikels nicht möglich, differenzierter auf die Verschiedenartigkeit von Frauen in unserem Kulturkreis einzugehen. Denn sowohl die Damen, die in den 50er und 60er Jahren die Benimmratgeber gelesen haben als auch die Teilnehmerinnen von Germany’s Next Topmodel sind vor allem sozial besser gestellte Bürger. Es wäre interessant, auch Frauen aus anderen Teilen der Gesellschaft betrachten zu können oder auch Frauen mit ‚Migrationshintergrund‘.
Gleichzeitig wird Germany’s Next Topmodel zwar von vielen deutschen Fernsehzuschauern gesehen und viele junge Mädchen identifizieren sich mit den Kandidatinnen, jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass wir mittlerweile eine weibliche Bundeskanzlerin haben und auch in anderen Bereichen der Gesellschaft der Kampf der Frauen seine Spuren hinterlassen hat. Das Bild des naiven, dünnen, schönen Model-Mädchens spiegelt nur einen Teil unserer vielfältigen Gesellschaft wider.
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Verwendete Quellen:
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Buß, Christian Pilarczyk, Hannah 2010: Frauenklischees bei ProSieben – Heidis hässliche Erbinnen, Spiegel Online vom 14.01.2010, online unter: http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,671696,00.html.
Butler, Judith 1988: Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory, in: Theatre Journal, Vol. 40, No. 4., S. 519-531, Baltimore, The Johns Hopkins University Press.
Connell, Robert W. 2006: Der gemachte Mann – Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Domarus, Max 1965: Hitler, Reden und Proklamationen, Würzburg, Süddeutscher Verlag.
Graudenz, Karlheinz; Pappritz, Erica 1968: Etikette neu, München, Südwest Verlag Neumann.
Höffer-Mehlmer, Markus 2000: Didaktik des Ratschlags – Zur Methodologie und Typologie von Ratgeber-Büchern, in: Faulstich, Peter et.al. (Hrsg.) 2001: Wissen und Lernen, didaktisches Handeln und Institutionalisierung Befunde und Perspektiven der Erwachsenenbildungsforschung, Bielefeld, Bertelsmann, online unter: http://miami.uni-muenster.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-2740/tausch%20for%20miami/wissen_und_lernen.pdf#page=155.
Kalle, Matthias 2010: Germany’s next Topmodel – Ware Schönheit, auf Zeit Online vom 24.06.2010, online unter: http://www.zeit.de/2010/26/Medien-Castingshow-Topmodel/komplettansicht.
Luke, Christiane 2006: Das Frauenbild der 50er Jahre – Im Pettycoat am Nierentisch, Durchblick 4/2006, online unter: http://www.durchblick-siegen.de/themes/ds/pdf/04_06/seite46.pdf.
Miklis, Katharina 2009: „Germany’s next Topmodel“ – Heidis Masche mit den „Mädchen, stern.de vom 12. Februar 2009, online unter: http://www.stern.de/lifestyle/leute/germanys-next-topmodel-heidis-masche-mit-den-maedchen-653922.html.
Nave-Herz, Rosemarie 1997: Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung.
Oheim, Gertrud 1955: Einmaleins des guten Tons, Gütersloh, Bertelsmann Ratgeberverlag Reihnhard Mohn.
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Stein, Roger (Jahr unbekannt): Bürgerlicher Moralcodex und Frauenbild, online unter: http://www.dirnenlied.de/page20/page23/page23.html.
Thomann, Jörg 2010: Die Rückkehr des Sexismus – Frauenquälen für die ganze Familie, FAZ online vom 08.02.2010, online unter: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/die-rueckkehr-des-sexismus-frauenquaelen-fuer-die-ganze-familie-1606051.html.
Widholm, Friederike (Jahr unbekannt): Die Stellung der Frau im Wandel der Zeit, online unter: http://www.kontinenz-stoma.at/fileadmin/bilder/Dokumente/Die_Stellung_der_Frau_im_Wandel_der_Zeit_Handout.pdf.