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Klimapolitik: Die COP23 in Bonn und globale Machthierarchien

Klimapolitik: Die COP23 in Bonn und globale Machthierarchien

Diese Woche beginnt die COP23 in Bonn unter der Präsidentschaft von Fidschi die 23. internationale Klimakonferenz. Die 2015 in Paris gesteckten Ziele sollen nun in Taten umgesetzt werden. Doch funktionieren solche internationalen Verhandlungen eigentlich auf Augenhöhe?

Das offizielle Logo der COP23 in Bonn unter der Präsidentschaft von Fidschi

Das offizielle Logo der COP23 in Bonn unter der Präsidentschaft von Fidschi

Globale Umweltprobleme gehen in ihrer Reichweite über die Kompetenzbereiche einzelner Nationalstaaten hinaus und führen zu grenzübergreifenden Vernetzungen. Im Rahmen von Global Governance werden Möglichkeiten diskutiert, jenseits von Nationalstaaten eine globale Regierung zu schaffen. Globale Umweltprobleme sind jedoch nicht nur ein Aufgabengebiet für Global Governance, sondern durchaus auch eine Folge der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Denationalisierung. Weltweite Klimaforscher sind sich einig, dass ein Klimawandel stattfindet und durch menschlichen Einfluss verstärkt wird. Von den Auswirkungen des Klimawandels können alle Regionen der Erde betroffen sein und somit auch alle Menschen. Multilaterale Vertragswerke auf internationaler Ebene sollen das Problem über nationalstaatliche Grenzen hinaus angehen. Dabei ist davon auszugehen, dass trotzdem die Nationalstaaten in der internationalen Klimapolitik immer noch die wichtigsten Akteure bleiben, die aber durch weitere Institutionen und Akteure ergänzt werden, wie etwa die Vereinten Nationen. Doch auch private Assoziationen und Netzwerke wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden Teil von Global Governance.

Globale Machtverhältnisse im Rahmen von Global Governance

Das Problem der internationalen Klimapolitik besteht meiner Meinung nach darin, dass die Verhandlungen nicht auf Augenhöhe ablaufen, sondern dass sich globale Machtbeziehungen widerspiegeln. Die mächtigen Industriestaaten setzen ihre Interessen durch, während kleine Staaten häufig weniger Möglichkeiten haben, ihre Stimme zu erheben. Dies ist zum einen auf mangelnde Ressourcen zurückzuführen (Wie viele Menschen kann ein Staat zu den Verhandlungen entsenden? Welche Druckmittel haben die Staaten innerhalb der Verhandlungen?), aber auch auf ein mangelndes Erhört Werden (Wer wird in den Medien zitiert? Wer darf wie lange sprechen? Wem wird zugetraut, sich mit der Thematik auszukennen?). Besonders brisant ist diese Machthierarchie, wenn man bedenkt, dass die Hauptverursacher des Klimawandels die mächtigen Industriestaaten sind, die Hauptleidenden aber in vielen Fällen ärmere Staaten des Globalen Südens (siehe dazu auch den Blogeintrag: Flucht, Asyl, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun?).

Auch NGOs sind von globalen Machtverhältnissen beeinflusst

Die COP23 in Bonn und die Problematik globaler Machthierarchien

Die COP23 in Bonn und die Problematik globaler Machthierarchien

Nun sind auf der COP 23 auch viele Nichtregierungsorganisationen vor Ort (NGOs). Formal gesehen sind NGOs Organisationen, die spezielle Privilegien (etwa im Steuerbereich) genießen, aber auch mit Einschränkungen konfrontiert sind (so dürfen sie beispielsweise nur eingeschränkt Gewinn machen). Die Autorität von NGOs basiert auf normativen Kräften anstelle von demokratischer Repräsentation oder militärischer Macht. Oft werden drei Kriterien genannt, die eine NGO mindestens mitbringen muss, um sich in der internationalen Politik akkreditieren zu können: Zum einen darf eine NGO nicht auf einem intergouvernementalen Abkommen basieren, zum anderen soll sie Wissen und Interesse an der jeweiligen internationalen Institution mitbringen und drittens muss die Meinung der NGO unabhängig von nationalen Regierungen sein. Auch die UN nutzt diese Einschränkungen als Definitionen.

Arbeitsweisen von NGOs

NGOs sind jedoch nicht nur sehr heterogen und divers, sondern arbeiten häufig auch über verschiedene Ebenen. Transnationale NGOs arbeiten oft eng mit lokalen Partnern zusammen, welche Projekte implementieren oder Informationen sammeln. Auch lokale NGOs sind in ihrer Arbeit auf den Einfluss und die Ressourcen von transnationalen Partnern angewiesen. Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Beziehungen zwischen internationalen und lokalen NGOs horizontal und fließend sein können und sich beide Organisationsarten gegenseitig brauchen. Andere Studien machen deutlich, dass es durchaus auch solche Machtbeziehungen zwischen internationalen und lokalen NGOs gibt, unter denen Letztere leiden. Hierbei spiegeln die Beziehungen die Verhältnisse globaler Politik wider: Demnach stülpen internationale Organisationen eigene Ideen und Konzepte auf die schwächeren lokalen Partner in Ländern des Globalen Südens über. Diese sind auf Gelder und auf die Kontakte der INGO angewiesen. Eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnern kann auch zu einer Professionalisierung der lokalen NGO führen, die mit einer Entpolitisierung einhergehen kann. Dies kann zu einem eurozentrischen Charakter der sogenannten transnationalen Zivilgesellschaft führen, wenn internationale NGOs strukturelle Ungleichheiten in ihrer Arbeit ausblenden, Proteste und schließlich auch Stimmen der kleinen NGOs verklingen lassen und lediglich ihre eigene Stimme als international geltend darstellen. Zudem heißt es immer wieder, dass die globalen Themen der internationalen NGOs zu weit entfernt seien, von den Themen der lokalen NGOs. Es zeigt sich also, dass selbst in der Arbeit der NGOs die Gefahr ungleicher Machtbeziehungen besteht.

Kritischer Blick auf NGOs

Die COP23 in Bonn und die Problematik globaler Machthierarchien

Die COP23 in Bonn und die Problematik globaler Machthierarchien

Auch NGOs vertreten vor allem Partikularinteressen und kämpfen um das eigene Überleben. Es heißt, dass in globalen NGOs vor allem gebildete Menschen aus dem Mittelstand reicher Staaten arbeiten. NGOs seien auch nicht Teil eines dritten Sektors, sondern eng mit dem Staat und dem Markt verbunden. Dadurch reflektieren sie die gesellschaftlichen Ungleichheiten und bilden diese in ihrer Arbeit wieder ab. In der Forschung werden NGOs oft als Black Box gesehen und behandelt, die Heterogenität der verschiedenen NGOs wird dabei selten mitgedacht. Untersuchungen zeigen auf, dass bei internationalen Klimaverhandlungen ein Großteil der NGOs aus dem sogenannten Globalen Norden kommt. Zudem stehen den NGOs des Globalen Nordens mehr materielle und ideelle Ressourcen zur Verfügung, sodass diese die internationale Klimapolitik qualitativ sowie quantitativ dominieren. Während der Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll dominierten NGOs aus dem Globalen Norden, nur ein Viertel der teilnehmenden Organisationen kam aus dem Globalen Süden. Letztere waren zumeist auch durch sehr viel weniger Repräsentanten vertreten. Das UNFCCC stellte zwar Gelder zur Verfügung, doch reichten diese oftmals nicht. Die am stärksten vertretenden NGOs waren Greenpeace, Friends of the Earth und der World Wide Fund for Nature.

Wie geht es weiter?

Solange globale Machtbeziehungen bestehen, werden diese sich auch in Global Governance also in internationalen Verhandlungen widerspiegeln. Gerade in Bezug auf die Klimapolitik ist dies verheerend: So sind es doch vor allem die ärmeren, schwächeren Staaten, die schon heute unter dem Klimawandel leiden und keine oder nur begrenzte Möglichkeiten der Anpassung haben. Die großen Industrienationen, zu denen auch und vor allem Deutschland zählt, müssen nun reagieren und sich kompromissbereit zeigen. Die gesteckten Ziele dürfen nicht verwässert werden und Schritte, um diese einzuhalten, müssen sofort und alternativlos umgesetzt werden. Einzelne Wirtschaftszweige oder Lobbygruppen dürfen hier keine Rolle mehr spielen, wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht.

Die COP23 in Bonn und die Problematik globaler Machthierarchien

Die COP23 in Bonn und die Problematik globaler Machthierarchien

Zum Weiterlesen:
  • Beisheim, Marianne (2004): Fit für Global Governance? Transnationale Interessengruppenaktivitäten als Demokratisierungspotential – am Beispiel Klimapolitik. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften (Bürgergesellschaft und Demokratie, 16).
  • Steffek, Jens (2013): Explaining cooperation between IGOs and NGOs. Push factors, pull factors, and the policy cycle. In: Rev. Int. Stud. 39 (04), S. 993–1013.
  • IPCC (div. Jahrgänge): Assessment Report: Cambridge University Press. Online verfügbar unter https://www.ipcc.ch/publications_and_data/publications_and_data_reports.shtml#1.
  • Betsill, Michele Merrill; Corell, Elisabeth (Hg.) (2010): NGO diplomacy. The influence of nongovernmental organizations in international environmental negotiations. Cambridge, Mass: MIT Press. Online verfügbar unter: http://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&scope=site&db=nlebk&db=nlabk&AN=208206.
  • Beer, Christopher Todd; Bartley, Tim; Roberts, Wade T. (2012): Ngos: Between Advocacy, Service Provision, and Regulation: Oxford University Press.
  • Bexell, Magdalena; Tallberg, Jonas; Uhlin, Anders: Democracy in Global Governance. The Promises and Pitfalls of Transnational Actors. In: Global Governance 16 2010, S. 81–101.
  • Buttigieg, J. A. (2005): The Contemporary Discourse on Civil Society. A Gramscian Critique. In: boundary 2 32 (1), S. 33–52.
  • Lipschutz, Ronnie D. (2007): The Historical and Structural Origins of Global Civil Society. In: Globalizations 4 (2), S. 304–308.
  • Benessaieh, A. (2011): Global Civil Society. Speaking in Northern Tongues? In: Latin American Perspectives 38 (6), S. 69–90.
  • Carpenter, R. Charli (2010): Governing the global agenda: “gatekeepers” and “issue adoption” in transnational advocacy networks. In: Deborah D. Avant, Martha Finnemore und Susan K. Sell (Hg.): Who Governs the Globe? Cambridge: Cambridge University Press, S. 202–237.
  • Brühl, Tanja; Gereke, Marika (2015): Der Beitrag von Non-State Actors zum Schutz der Umwelt. Eine kritische Analyse der Rolle von NGOs in der Klimapolitik. In: Z Außen Sicherheitspolit 8 (S2), S. 677–694.
Die Zeit drängt – mein Interview mit Jane Goodall

Die Zeit drängt – mein Interview mit Jane Goodall

Die Britin Jane Goodall ist wohl die bekannteste Verhaltensforscherin der Welt. In Zeiten, in denen nur wenige Frauen in der Forschung arbeiten konnten, revolutionierte sie die Sicht auf Tiere in der Forschung. Mit mittlerweile dreiundachtzig Jahren reist sie immer noch um die Welt, um sich für Tier, Mensch und Umwelt einzusetzen. // von Merle Becker

Becker |

Frau Dr. Goodall, Sie sind als junge Frau ohne jegliche universitäre Bildung alleine nach Afrika gegangen und wurden trotzdem als Doktorandin angenommen. Was war Ihr Antrieb? Wie konnten Sie so viel Mut aufbringen und so viel Motivation entwickeln?

Goodall |

Ich bin mit einer Liebe zu Tieren geboren worden. Als ich zehn Jahre alt war, las ich Tarzan und entschied schon damals, daß ich nach Afrika gehen wollte, sobald ich erwachsen wäre. Ich wollte unter wilden Tieren leben und Bücher über sie schreiben. Alle lachten über meine Pläne. Es war Krieg, wir hatten kein Geld, nur Bücher aus der Bibliothek. Afrika war weit weg – der dunkle Kontinent, über den wir kaum etwas wußten. Und ich war nur ein kleines Mädchen. Aber meine Mutter sagte immer: „Wenn du das wirklich möchtest, mußt du hart dafür arbeiten. Du mußt alle Möglichkeiten nutzen und darfst niemals aufgeben!“ Mich hat meine Liebe zur Natur und zu den Tieren immer motiviert und vorangetrieben.

Becker |

Sie machen keinen Unterschied zwischen Menschen und Tieren und sehen beide als Einheit. Ihrer Meinung nach können wir Tieren nicht helfen, wenn wir nicht auch den Menschen helfen. Was meinen Sie damit?

Goodall |

Jane Goodall mit einem Stoffaffen (CC BY 2.5/Jeekc)

Jane Goodall mit einem Stoffaffen (CC BY 2.5/Jeekc)

Schimpansen sind uns sehr ähnlich, sowohl biologisch (die menschliche DNA unterscheidet sich von der der Schimpansen nur um ein Prozent!) als auch in ihrem Verhalten. Sie küssen und umarmen sich, sie halten Händchen, pflegen sich gegenseitig, betteln mit der ausgestreckten Hand um Essen, prahlen, bauen und benutzen Werkzeuge, haben eine dunkle und aggressive Seite und töten. Aber sie lieben auch und haben eine wahrhaftig altruistische Seite. Sie zeigen uns, daß es keine scharfe Linie gibt zwischen uns und dem Reich der Tiere. Wir sind alle Teil dieses wunderbaren Naturreiches. Der zweite Teil der Frage ist ein wenig schwieriger zu beantworten. Als ich 1960 nach Gombe in Tansania ging, war die Region Teil des äquatorialen Waldgürtels. Als ich dreißig Jahre später mit einem kleinen Flugzeug über dieselbe Gegend flog, war der Nationalpark nur noch eine Oase zwischen nackten Hügeln. Zu viele Menschen führten zu übernutzten, unfruchtbaren Böden. Gerodete Steilhänge erodierten. Die Menschen unternahmen verzweifelt alles, um ihre Familien zu ernähren oder Geld mit Holzkohle zu verdienen, Menschen, die in bitterer Armut lebten und um ihr Überleben kämpften. Als ich das sah, wurde mir klar, daß wir die Schimpansen nicht retten können, solange wir nicht das Leben der Menschen verbessern.

Becker |

Viele Wissenschaftler sträuben sich davor, interdisziplinär zu arbeiten. Sie sind entweder Biologen oder im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Hatten Sie Probleme, Unterstützer für Ihre Forschungen zu finden?

Goodall |

Wir gründeten das Jane Goodall Institute schon sehr früh, 1974. Es ist eine Institution mit drei großen Zielen: Es sollen Primatenforschung betrieben, natürliche Habitate geschützt und ein Bewußtsein für all das geschaffen werden. In anderen Worten: Das Institut steht für Forschung, Umweltschutz und Bildung. Wir sammeln seit jeher Gelder für alle drei Bereiche.

Becker |

Nachhaltigkeit wurde in den vergangenen Jahren zu einem Modewort. Was bedeutet der Begriff für Sie?

Goodall |

Das Gehirn eines Schimpansen (links) im Vergleich zu dem eines Menschens (rechts)

Das Gehirn eines Schimpansen (links) im Vergleich zu dem eines Menschens (rechts)

Die Vorstellung, daß es unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum auf einem Planeten mit begrenzten natürlichen Ressourcen gibt, ist absolut absurd. Bereits im Sommer haben wir mehr natürliche Ressourcen verbraucht, als die Erde in einem Jahr bilden kann. Wir müssen lernen, einen harmonischen Lebensstil zu entwickeln: mit der Natur, mit Recycling, grüner Energie und weniger Geldausgaben. Wir müssen unseren verschwenderischen Lebensstil, bei dem jeder mehr will, als er oder sie braucht, verändern.

Becker |

Worum geht es bei dem Projekt „Roots and Shoots“?

Goodall |

Ich arbeite zusammen mit vielen Menschen sehr hart dafür, Tiere und die Umwelt zu schützen und zu bewahren. Wenn heranwachsende Generationen nicht lernen, bessere Erdverwalter zu sein, als wir es waren, war unsere ganze Arbeit sinnlos. „Roots and Shoots“ ist ein Projekt, das es mittlerweile in fast hundert Ländern gibt, mit Teilnehmern jeden Alters, vom Kind bis zu Universitätsangehörigen. Sie alle arbeiten an drei Projekten: Sie wollen die Welt besser machen für Menschen, für Tiere und für die Umwelt. Egal, wo ich hinkomme, sehe ich junge Menschen mit strahlenden Augen, die mir erzählen, was sie machen, um die Welt zu verbessern. Das gibt mir Hoffnung.

Becker |

Sie arbeiten in vielen afrikanischen Dörfern, aber auch in anderen Regionen der Welt, etwa in Österreich. Brauchen junge Menschen auf der ganzen Welt die gleiche Unterstützung?

Goodall |

Zwar brauchen alle jungen Menschen viel Unterstützung, aber in unterschiedlicher Weise. Kinder und Jugendliche in Armut müssen bestärkt werden. Sie müssen merken, daß sie etwas verändern können. Junge Menschen, die in materiellem Reichtum aufwachsen, müssen lernen, über die Folgen ihres Verhaltens nachzudenken. Das heißt, sie müssen alle kleinen Entscheidungen, die sie jeden Tag treffen, reflektieren: was sie essen, tragen, kaufen und so weiter. Aber alle jungen Menschen sollen und wollen erhört werden. Wir müssen sie dazu ermutigen, darüber nachzudenken, welche Rolle sie im Rahmen eines positiven Wandels spielen können. Wir müssen sie dazu ermutigen, die Ärmel hochzukrempeln und etwas zu tun.

Becker |

Sie beraten und unterstützen Menschen in afrikanischen Dörfern. Gleichzeitig ist es im Wesentlichen die indu­strialisierte Welt, die für die schrumpfende Biodiversität und den Klimawandel verantwortlich ist. Historisch betrachtet – aber auch aus der Perspektive der Gegenwart – tragen die europäischen und nordamerikanischen Staaten eine große Verantwortung für die Probleme auf dem afrikanischen Kontinent. Wie gehen Sie mit den Hierarchien um?

Goodall |

Was hat Nachhaltigkeit mit Artenschutz und Armut zu tun? Jane Goodall bringt alles zusammen!

Was hat Nachhaltigkeit mit Artenschutz und Armut zu tun? Jane Goodall bringt alles zusammen!

Wir müssen extreme Armut lindern, egal wo. Wenn du sehr arm bist, fällst du den letzten Baum, um zu überleben. In städtischen Regionen kaufst du das billigste Essen und machst dir keine Gedanken darüber, wie es hergestellt wurde, wo es herkommt oder ob im Produktionsprozeß Menschen oder Tiere gelitten haben. Du hast keine Wahl! Wir müssen vom extravaganten Lebensstil der reichen Teile der Weltbevölkerung wegkommen und lernen, mit denjenigen zu teilen, die nicht genug haben.

Becker |

Können Sie uns ein wenig zu ihrem „TACARE“-Programm erzählen?

Goodall |

Das ist ein ganzheitliches Programm, das wir in zwölf Dörfern in der Nähe von Gombe implementiert haben. Ein Team von ortsansässigen Tansaniern geht in die Dörfer und fragt die Menschen, wie man ihnen am besten helfen kann. Wir kümmern uns beispielsweise darum, die Fruchtbarkeit der Böden ohne Chemie wiederherzustellen, das Land zu schützen, damit wieder Bäume wachsen, Erosionen zu kontrollieren oder die Versandung von Flüssen zu verhindern. Außerdem schaffen wir verbesserte Bildungs- und Gesundheitsangebote und üben Druck auf die lokalen Behörden aus, mehr zu tun, da auch wir nur begrenzte Mittel haben. Auch Mikrokreditprogramme für Frauen sind Teil von „TACARE“, und Mädchen bekommen Stipendien, um während und nach der Pubertät weiter zur Schule gehen zu können. Die Unterstützung und Bildung von Frauen hat überall auf der Welt zu kleineren Familien geführt und bildet den Grundstein für Familienplanung. Das Wachstum der Weltbevölkerung ist ein Riesenproblem. Heute gibt es „TACARE“ in zweiundfünfzig Dörfern. Rund um Gombe entstehen die Wälder langsam wieder. Auch weiter im Süden, wo mehr als die Hälfte der Schimpansen in Tansania leben, schützen wir die Wälder. Die Menschen in den Dörfern sind unsere Partner. Sie nutzen Smartphones und Tablets, um den Zustand des Waldes zu dokumentieren. Sie dokumentieren zum Beispiel illegale Baumfällungen oder auffällige Tierspuren, oder sie beobachten Schimpansen und andere Wildtiere. All das wird in eine Cloud geladen, in die Global Forest Watch, die von Esri, Google Earth, Digital Globe und der NASA unterstützt wird. „TACARA“ wurde in einer ähnlichen Form in Uganda, in der Demokratischen Republik Kongo, in Kongo-Brazzaville, Burundi und im Senegal übernommen.

Becker |

Und trotzdem: Immer mehr Tiere verschwinden. Die Biodiversität ist hochgefährdet. Der Klimawandel beschleunigt sich. Haben Sie manchmal das Gefühl, daß uns die Zeit davonläuft?

Goodall |

Die Zeit drängt - Jane Goodall fordert dazu auf, aktiver zu werden!

Die Zeit drängt – Jane Goodall fordert dazu auf, aktiver zu werden!

Ich bin fest davon überzeugt, daß wir uns jetzt zusammentun und gemeinsam sehr hart arbeiten müssen. Wir müssen mehr Geld in den Umweltschutz investieren. Sonst wird uns die Zeit davonlaufen. Was mag das für zukünftige Generationen bedeuten? Es heißt, kommende Kriege werden um Wasser geführt. Ganze Städte stehen schon ohne Wasser da. Entwaldung und Treibhausgase führen zum Klimawandel. Ich befürchte, wir haben nur ein sehr kleines Zeitfenster. Darum reise ich an dreihundert Tagen im Jahr um die Welt, um die Menschen zu sensibilisieren und zum Handeln zu bewegen.

Becker |

Und wie geht es Ihnen, wenn Menschen, die in wichtige Ämter gewählt werden, den Klimawandel bestreiten? Etwa Donald Trump?

Goodall |

Diejenigen, die sich Sorgen machen, müssen nun um so härter arbeiten und für die Wahrheit kämpfen!

Es ist an der Zeit! – Bundestagswahl, TV-Duell (Lese- und Videotipp)

Es ist an der Zeit! – Bundestagswahl, TV-Duell (Lese- und Videotipp)

Die Bundestagswahl steht bevor und selten war der Wahlkampf einschläfernder. Dabei gibt es so viele Themen, die es dringend zu besprechen und anzugehen gilt. Das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz machte mir Hoffnungen – die bitter enttäuscht wurden. Dies lag nicht nur an den beiden Kandidat*innen, sondern auch an den Fragen der Moderator*innen.

Was läuft schief bei uns, dass Themen wie Umwelt, Klima, Bildung und Digitalisierung einfach nicht besprochen werden?
Wieso wird in der Politik und in vielen Medien immer wieder mit Angstmacherei gearbeitet, statt tatsächlich existierende, dringende Probleme anzugehen und an einer besseren Zukunft zu arbeiten?

Eine Frage im Wahl-O-Mat: Das ist schlicht keine Frage, die zur Diskussion offen sein kann.

Eine Frage im Wahl-O-Mat: Das ist schlicht keine Frage, die zur Diskussion offen sein kann.

Auch der Wahl-O-Mat, den ich schon viele Jahre sehr spannend finde, beschäftigt sich mit vielem, aber nicht mit zukunftsweisenden Themen. Stattdessen werden haufenweise Themen von rechtsaußen in den Diskurs aufgenommen (Hier fühle ich mich stark an das TV-Duell erinnert… #Strunz). Ja, aufkommender Rechtspopulismus ist ein Problem, aber diesem begegnen wir nicht, indem wir den Mainstreamdiskurs anpassen! Wenn im TV Duell im Jahr 2017 immer noch das Hauptthema „Flüchtlinge“ ist, dann läuft doch etwas falsch!

Es ist so was von an der Zeit, dass sich etwas tut – und zwar schnell. Wir haben keine „Jahrzehnte“, um auf Elektroautos, flächendeckende Digitalisierung und erneuerbare Energien zu warten. Der Klimawandel ist kein Zukunftsspiel, sondern verdammt real! Wir müssen realisieren, dass Formen der Arbeit sich ändern. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Kohleenergie und verpestete Luft werden uns in Zukunft nicht weiterbringen. Der Wandel wird kommen, es liegt an uns, darauf vorbereitet zu sein. Migration wird nicht weniger werden, sondern mehr. Es bringt also nichts, sich nun gegenseitig Angst zu machen, sondern es geht nun darum, die Zukunft gemeinsam positiv zu gestalten!

Nora-Vanessa Wohlert, eine der beiden Gründerinnen von Edition F, schrieb genau dazu einen Blog-Eintrag, den ich so passend fand, dass ich ihn hier einfach teilen muss: Bundestagswahl: Wann geht es eigentlich wieder um die Zukunft?

Und hier ein schönes Video zu dem Thema von Deutschland3000 mit Eva Schulz:

https://www.facebook.com/Deutschland3000/videos/1758615221102543/

Crowdfunding-Kampagne für Opening Academia von aeWorldwide

Crowdfunding-Kampagne für Opening Academia von aeWorldwide

Als ich 2013 zusammen mit einer Kommilitonin die Idee für academic experience Worldwide hatte, ahnte ich nicht, wie groß diese Idee einmal werden würde.

Heute ist aeWorldwide weniger eine Hilfsorganisation als eine Organisation, die Kontakt herstellt, Vorurteile abbaut und eine angemessene Integration erleichtert. Es geht darum das Bild des Flüchtlings neu zu gestalten und der wachsenden Ausgrenzung tausender Menschen entgegen zu wirken. Trotz willkürlicher, nationaler Grenzen können Gemeinsamkeiten gefunden und ein fruchtbares Miteinander geschaffen werden.

Ein Abend bei Opening Academia © Parwiz Rahimi

Ein Abend bei Opening Academia © Parwiz Rahimi

Vor wenigen Wochen bin ich aus dem Vorstand zurück getreten, um mich wieder vermehrt um meine anderen Projekte zu kümmern. Trotzdem hänge ich natürlich an dem Verein und freue mich zu sehen, was der neue Vorstand so auf die Beine stellt. Momentan geht es vor allem darum, die von mir initiierte Vortragsreihe „Opening Academia – Geflüchtete Wissenschaftler*innen präsentieren Ihren Blick auf Forschung und Lehre“ wieder zum Leben zu erwecken. Dazu wurde nun eine Crowdfunding-Kampagne organisiert.

Die Vortragsreihe „Opening Academia“ soll sich an die breite Öffentlichkeit richten und – wie an den Universitäten – für eine differenzierte Wahrnehmung der „Flüchtlinge“ stark machen.
Bereits im November und Dezember 2016 haben wir die ersten zwei Veranstaltungen dieser Reihe umgesetzt. Die Rückmeldungen waren sehr gut, jedoch fehlen dem Verein für weitere Aktivitäten die Gelder und Ressourcen.
Helft auch Ihr mit Eurer Spende beteiligt Euch an der Crowdfunding-Aktion.

Ehrenamt und Engagement: Machtgefälle oder beidseitiges Helfen?

Ehrenamt und Engagement: Machtgefälle oder beidseitiges Helfen?

Im Februar hat mich der Deutschlandfunk porträtiert und mir einige Fragen zu meiner Arbeit gestellt. Der von mir gegründete Verein academic experience Worldwide e.V. stand dabei im Mittelpunkt und somit auch die Themen Flucht und Asyl. Jedoch ziehen sich die angesprochenen Punkte durch alle Arbeitsbereiche wie ein roter Faden: durch meine Projekte an der Universität Frankfurt als auch durch solche, die ich freiberuflich ausführe sowie durch mein Ehrenamt und Engagement.

Ehrenamt und Engagement: Machtgefälle oder beidseitiges Helfen? - Merle Becker

Ehrenamt und Engagement: Machtgefälle oder beidseitiges Helfen? – Merle Becker

Ich glaube, dass Machtverhältnisse oftmals durch gut gemeine Hilfe verstärkt werden. Dies ist darauf zurück zu führen, dass viele Menschen soziale Ungleichheiten als gegeben hinnehmen und sich nicht die Frage stellen, wie es dazu kommen konnte. Sie sehen, dass die Ungleichheiten falsch sind und möchten helfen, bekämpfen aber dabei nur Symptome, statt das Problem bei der Wurzel zu packen. Auch im Bereich Service Learning wird das leider oft deutlich (aber zu dem kritischen Blick auf Service Learning habe ich ja bereits einen Beitrag geschrieben).

Ist Ehrenamt also schlecht?

Ich möchte klar stellen: Es ist richtig und toll, wenn Menschen helfen. Es wird immer Menschen geben, die die Hilfe und das Engagement von anderen Menschen brauchen. Doch sollten wir uns bei jedem Schritt und jedem Engagement stets die Fragen stellen: Wieso helfe ich? Kann mir die Person eventuell auch helfen? Was kann ich von der Person lernen? Und wieso befindet sich die Person in der Situation, Hilfe zu brauchen? Wo liegt die Ursache des Problems und was können wir gemeinsam tun, um diese Ursache anzugehen?

Um nur einige Beispiele zu nennen: Diese Fragen lassen sich stellen, wenn ich mich in der Flüchtlingsarbeit engagiere, aber auch, wenn ich mich um Obdachlose kümmere, benachteiligte Kinder in Schulen unterstütze oder Projekte im Globalen Süden fördere.

Na? Fragt Ihr Euch schon selbst? Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir schreibt, was diese Fragen für Euch bedeuten!

Hier könnt Ihr Euch den Beitrag vom Deutschlandfunk nochmal anhören:

Das Recht auf Bildung nachhaltig gewähren – Geflüchtete Kinder und Jugendliche in der Schule

Das Recht auf Bildung nachhaltig gewähren – Geflüchtete Kinder und Jugendliche in der Schule

In der ersten Jahreshälfte 2015 flüchteten über 33.000 Kinder und Jugendliche nach Deutschland. Im gleichen Zeitraum 2014 waren es nur knapp 20.000. Was passiert mit diesen Kindern? Wie werden sie in unser Bildungssystem integriert?

Zuwanderung ist der Motor für gesellschaftlichen Wandel und Innovation. Zuwanderung stellt einen Normalfall dar, keine Ausnahmesituation. Dies zeigt sich schon seit Generationen in den Klassenzimmern der Bundesrepublik, die noch nie monokulturell oder monoloinguell waren. Bevor es 2015 zu der sogenannten „Flüchtlingskrise“ kam (ein Begriff, der falscher kaum sein könnte), wurden die Themen Migration, Flucht und Asyl im Klassenzimmer jedoch nur selten thematisiert. Im Sommer 2015 änderte sich dies schlagartig und an den Schulen und Hochschulen wurden quasi über Nacht prestigeträchtige Formate und Projekte aus dem Boden gestampft. So vorbildlich die schnelle Reaktion auch war, es fehlte an Nachhaltigkeit, an Weitblick und auch an Zeit. Betrachtet man Forschungsgelder, die vor dem besagten Sommer in Arbeiten zu der Thematik flossen, muss recht lange gesucht werden. Die Themen Flucht und Asyl im Bildungsbereich wurden lange Zeit schlichtweg vergessen. Umso wichtiger ist es nun, langfristig zu denken – und das sowohl an den Schulen als auch an den Institutionen, die Lehrkräfte ausbilden, also auch an Universitäten. Dies funktioniert jedoch nur, wenn die Politik die Gelder dafür bereit stellt und sich für dieses Thema öffnet.

Integration kann nur durch Bildung gelingen. Zum einen ist natürlich der Spracherwerb zentral. Darüber hinaus sollen die Kinder, ob nun mit oder ohne Fluchtgeschichte, auch demokratische Grundwerte lernen und sich langfristig auch auf eine Berufsausbildung oder ein Studium vorbereiten. Diese drei Punkte zusammen bilden den Grundstein für eine gelingende gesellschaftliche Teilhabe!

Recht auf Bildung

Das Recht auf Bildung nachhaltig gewähren - Geflüchtete Kinder und Jugendliche in der Schule

Das Recht auf Bildung nachhaltig gewähren
– Geflüchtete Kinder und Jugendliche in der Schule

Alle Bundesländer haben sich zum Aufbau eines inklusiven Schulsystems verpflichtet. Das bedeutet, dass alle Kinder gemeinsam lernen sollen. Wie soll das funktionieren, wenn Klassen immer heterogener werden? Wie soll das irakische Mädchen ohne Deutschkenntnisse gemeinsam mit dem Jungen aus dem Taunus lernen? Wie sollen alle Kinder trotzdem individuell gefördert werden? Ausreichend pädagogisches Personal, das sich regelmäßig fortbildet, ist eine Grundvoraussetzung. Doch dies kostet Geld.

Asylbewerber und –bewerberinnen sowie geduldete Menschen haben grundsätzlich und ohne Wartefrist das Recht, eine schulische Ausbildung aufzunehmen. Dies ist im Artikel 3 des Grundgesetzes, der UN-Kinderrechtskonvention und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union als „Recht auf Bildung“ verankert.

Die Bundesländer haben verschiedene Ansätze, dieses „Recht auf Bildung“ umzusetzen. In einigen Gegenden kommen die geflüchteten Kinder und Jugendlichen direkt mit in die Regelklassen und bekommen zum Teil nur begleitenden Deutschunterricht. Im anderen Extrem werden extra Intensivklassen eröffnet, in denen die Kinder und Jugendliche zum Teil bis zu ihrem Schulabschluss exklusiv beschult werden. Mehr dazu findet sich in einer recht neuen Studie der Stiftung Mercator.

Chancen für die Zukunft

Etwas, was in der Debatte immer wieder vergessen wird, ist: Es gibt sie nicht, die „Flüchtlingskinder“. Die geflüchteten Menschen, die hier ankommen, bringen ganz unterschiedliche, individuelle Geschichten, Bildungsbiografien und sprachliche Fähigkeiten mit. Dies ist ja durchaus auch logisch, betrachtet man die vielen verschiedenen Herkunftsstaaten und Fluchtursachen. Der Blick auf geflüchtete Schüler und Schülerinnen darf nicht auf fehlende Sprachkenntnisse verkürzt werden! Ein defizitorientierter Ansatz ist falsch. Mehrsprachigkeit muss als Chance gesehen werden!

Die Bildungspolitik muss langfristig investieren, um diese Chance nutzen zu können. Denn es ist davon auszugehen, dass in Zukunft nicht weniger Menschen ihre Heimatländer verlassen müssen, sondern die Zahlen sogar steigen werden. Der Klimawandel schreitet voran und gilt als eine der Hauptfluchtursachen in naher Zukunft. Hinzu kommen bestehende und sich neu bildende Konfliktherde weltweit. Die Potenziale der zugewanderten Schülerinnen und Schüler müssen gefördert werden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn alle Kinder Zugang zum Bildungssystem haben und inklusiv miteinander lernen können. Dafür brauchen die Bildungsinstitutionen ausreichend, stets fortgebildetes und gut ausgebildetes Fachpersonal, das für Diversität sensibilisiert ist.

Eine Podiumsdiskussion mit mir an der MBS Frankfurt zu dem Thema

Eine Podiumsdiskussion mit mir an der MBS Frankfurt zu dem Thema

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Lernen durch Verantwortung, Service Learning, offene Hochschulen – all diese Worte und Konzepte wirren zur Zeit durch deutsche Hochschulen und Universitäten. Es heißt, Service Learning würde das Demokratieverständnis der Studierenden verbessern und mehr Menschen zu zivilgesellschaftlichem Engagement motivieren. Doch was ist dran an der Zauberlösung Service Learning? Und was lässt sich kritisch sehen?

Die Ursprünge des Service Learning gehen zurück auf das didaktische Modell des Erfahrungslernens von John Dewey. In diesem wird davon ausgegangen, dass die Verknüpfung von theoretischem Wissen mit praktischen Erfahrungen und dem Lösen realer Probleme zu einem besonders intensiven Lerneffekt führen. Während das Konzept des Service Learning recht flexibel ist und unterschiedliche Varianten der Umsetzung vorstellbar sind, ist jedoch immer zentral, dass der theoretische Inhalt einer Lehrveranstaltung im Zuge einer Tätigkeit für das Gemeinwohl praktisch umgesetzt wird. Das bedeutet, dass es immer Kooperationen mit Engagementpartnern gibt und sowohl die Zusammenarbeit, als auch die gemachten Erfahrungen reflektiert werden. Es geht dabei nicht nur (wie etwa beim Praktikum) um die persönliche und berufliche Weiterentwicklung der Lernenden, sondern auch einen gemeinnützigen Dienst für andere Menschen. In verschiedenen Typen von Service-Learning Veranstaltungen, sind die Anteile unterschiedlich zu gewichten. Bestenfalls sind beide Parts gleich wichtig und halten sich die Waage.

Service Learning – die Akteure

Ein Service Learning-Projekt sollte demnach immer folgende Stationen beinhalten:

  1. Recherche (Suche nach realen Herausforderungen)
  2. Ideenentwicklung (in enger Zusammenarbeit mit dem Engagementpartner)
  3. Planung (begleitet durch Kompetenzgewinn im Rahmen des Seminars)
  4. Reflexion (im Seminar)
  5. Feedback (für alle Beteiligten)

Ein universitäres Service Learning-Projekt besteht aus mindestens drei Parteien: den Studierenden, den Dozent*innen und den Engagementpartnern. Begleitend zu der praktischen Tätigkeit der Studierenden soll an den Universitäten ein Seminar angeboten werden. In dem Seminar sollen wissenschaftliche Konzepte und Studien mit der praktischen Projektarbeit verbunden und Phasen der Reflexion angeregt werden. Die Engagementpartner helfen den Studierenden bei der Projektentwicklung, beraten und geben Feedback. Doch die Studierenden sind die aktiven Gestalter des Prozesses, führen Teamarbeiten durch, recherchieren selbstständig eine wissenschaftliche Basis und wenden ihr Konzept schließlich praktisch an. Für die Dozierenden ist es zentral, eine Vertrauensbasis zwischen Studierenden und den Engagementpartnern sowie eine wechselseitige Erwartungs- und Zielklarheit zu schaffen.

Die drei aktiven Parteien eines Service Learning-Projekts sowie die Hochschule profitieren unter anderem wie folgt von der Kooperation:

Hochschule Dozierende Studierende Engagementpartner
Profilschärfung durch Praxisbezug in der Lehre und Vermittlung von Schlüsselkompetenzen an Studierendeneue Impulse für Forschung und Lehre

Vernetzung der Universität, regionale Einbindung

 

Erweiterung des methodischen RepertoiresProfilierung des Portfolios

Verbesserung und Diversifizierung der Lehrqualität

Befähigung zum selbstgesteuerten Arbeiten und LernenEinblicke in Tätigkeitsfelder des zivilgesellschaftlichen Engagements

positive Wirkung auf gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein

interdisziplinäre Schlüsselkompetenzen

realer Bedarf wird gedeckt

personelle Unterstützung

wissenschaftliche Begleitung und Evaluation

Ein kritischer Blick auf Service Learning

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Die gängige Literatur zum Thema Service Learning offenbart eine Zweiteilung: ein traditioneller Ansatz, welcher den Service Aspekt ins Zentrum stellt ohne jedoch ein System der Ungleichheit mitzudenken, und ein kritischer Ansatz, welcher die Reflexion und Demontierung von struktureller Ungerechtigkeit fokussiert. Critical Service Learning hat demnach zum Ziel, Macht auf alle Beteiligten zu verteilen und somit Hierarchien zu vermeiden, authentische Beziehungen zu fördern und mit einer sozialen Perspektive zu arbeiten. Dabei ist das Ziel, das Machtsystem so zu beeinflussen, dass der Service-Aspekt langfristig überflüssig wird, da die Ungleichheiten abgebaut werden.

Critical Service Learning ist eine Antwort auf Stimmen, welche traditionelles Service Learning als „erzwungenes Ehrenamt“ kritisiert, das Hierarchien bestärkt und paternalistische Züge annimmt. So heißt es etwa:

„Unless facilitated with great care and consciousness, “service” can unwittingly become an exercise in patronization. In a society replete with hierarchical structures and patriarchal philosophies, service-learning’s potential danger is for it to become the very thing it seeks to eschew.” (Pompa 2002: 68)

Service Learning muss demnach politisch gedacht werden, um eine Glorifizierung von sozialer Ungleichheit zu vermeiden. Denn klassisches Service Learning unterstützt Ungleichheiten sowie sogenanntes Othering und hilft vor allem bereits privilegierten Studierenden (Aram Ziai definiert Othering als „die Konstruktion einer […] Gruppe als „anders“, die dazu dient, die Identität einer Wir-Gruppe davon abzugrenzen und so zu konstituieren und somit politische Ansprüche und Ausschlüsse zu rechtfertigen.“ (Ziai 2010: 404).  Das bedeutet, dass Studierende im Rahmen ihres Service Learning-Projektes nicht nur ihre Arbeit reflektieren müssen, sondern auch die Ursachen sozialer Probleme, die Service Learning erst notwendig und sinnvoll machen. Erst dann, so die Theorie, profitieren die Studierenden auch über das gute Gefühl, etwas gemacht zu haben, hinaus von Service Learning und ein Wandel für die Gesellschaft wird angeregt (vgl. Mitchell 2008: 51).

Praktisch bedeutet dies, dass klassisches Service Learning Studierende zum Beispiel dazu anregt, obdachlosen Familien Essen zur Verfügung zu stellen. Kritisches Service Learning geht jedoch einen Schritt weiter und fordert Studierende dazu auf, politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu untersuchen, die dazu führen, dass Menschen obdachlos sind und Hunger leiden, und solche Entscheidungen schließlich zu beeinflussen. Eine „kulturelle Safari“ soll dadurch verhindert werden. Durch diese Analyse bekommen Studierende ein Verständnis für die Problemursachen und können dadurch ableiten, wie Probleme am besten angegangen werden können, statt nur Symptome zu bekämpfen.

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Critical Service Learning betont den Service-Aspekt besonders und kritisiert am klassischen Vorgehen, dass die Professionalisierung der Studierenden zu sehr im Fokus stünde. Wenn sozialer Wandel Ziel von kritischem Service Learning ist, bedeutet dies jedoch auch, dass vor allem solche Projekte umgesetzt werden sollen, die den Studierenden helfen, soziale Ungleichheit zu erkennen und daran zu arbeiten. Die Dozierenden müssen dabei unterstützend zur Seite stehen und Fragen aufstellen. Etwa: Wieso gibt es signifikante wirtschaftliche und soziale Unterschiede in unserer Gesellschaft? Wieso verlaufen die Bildungswege bestimmter sozialer Gruppen häufig weniger gut als die anderer sozialer Gruppen? Wieso müssen Menschen fliehen und was hat das mit unserem Wohlstand zu tun?

Doch der kritische Service Learning-Ansatz gilt als schwieriger umzusetzen als der traditionelle. So sollte nicht nur Kontakt zu klassischen Engagementpartnern bestehen, sondern auch kritischen Gruppen eine Stimme gegeben werden, die aktiv politisch arbeiten. Auch sind die positiven Einflüsse auf Studierende langfristiger und von daher schwieriger zu evaluieren. Die Studierenden sollen im Rahmen der Service Learning-Erfahrung ihre eigene Position und Sozialisierung in der Gesellschaft reflektieren. Durch ihre Projekt-Stellung als „Service-Leistende“ werden die Privilegien gegenüber den „Service-Empfangenden“ deutlich (sei es Alter, Bildung, Zeit, soziale Klasse o. ä.). Einhergehend mit der Selbstreflexion soll auch Macht im Allgemeinen reflektiert und kritisch betrachtet werden. Dabei soll nicht nur Diversität in dem Sinne mitgedacht werden, dass eine Gleichmachung von Unterschieden erfolgt, sondern vor allem auch auf unterschiedliche Privilegien, Chancen, Möglichkeiten und Zugänge zu Macht und somit bestehende Ungerechtigkeiten innerhalb einer Gesellschaft hingewiesen werden. Ein Othering im Sinne von einer Dichotomie von „uns“ und „den Anderen“ soll reflektiert und dekonstruiert werden. Dabei geht es darum, soziale Realitäten nicht durch Homogenisierung zu ignorieren, und trotzdem eine Begegnung auf Augenhöhe zu schaffen.

In dem immer begleitend stattfindenden Service Learning-Seminar soll eine theoretische Grundlage für diese Reflexion erarbeitet und praktische Unterstützung geschaffen werden. Das Seminar soll im Rahmen des kritischen Ansatzes zusammen mit Engagementpartnern und Vertretern der Zivilgesellschaft durchgeführt werden, um ihnen im Arbeitsprozess eine Stimme zu geben und die Reflexion zu ermöglichen. Durch weniger traditionelle Unterrichtsmethoden können Hierarchien aufgebrochen werden. Gleichzeitig soll das Seminar den Teilnehmenden einen Raum geben, sich gegenseitig kennen zu lernen. Sowohl für die Dozierenden, als auch für die Engagementpartner und Studierenden ist es wichtig zu wissen, wie der jeweilige Gegenpart aufgestellt ist und funktioniert. Das Seminar sollte so ausgerichtet sein, dass alle Beteiligten davon profitieren und keiner ausgeschlossen wird, etwa durch einen zu akademischen Sprachgebrauch. Auch hier ist die Begegnung auf Augenhöhe zentral. Eine gute Zusammenarbeit braucht jedoch Zeit, weshalb es für die Hochschule umso wichtiger ist, langfristige Kooperationen zu schaffen.

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Service Learning – Die ultimative Lösung oder Glorifizierung sozialer Ungleichheit?

Also?

Service Learning ist ein Modewort und viele Hochschulen und Universitäten wollen sich momentan damit schmücken. Nachhaltige Projekte, die gesellschaftlich tatsächlich etwas bewegen sollen, kommen aber nicht umhin, sich die Kritik an Service Learning anzusehen und einen sensiblen Umgang mit Ungleichheiten, (globalen) Machtbeziehungen und Othering zu fördern. Da dies aber nicht nur mehr Zeit, sondern auch mehr Geld kostet, fällt es leider oft hinten runter. Ich hoffe, dass mehr Hochschulangehörige bestehende Projekte hinterfragen und neue Projekte kritisch begleiten. Nur dann kann Service Learning leisten, was es vorgibt: einen gesellschaftlichen Service und einen langfristigen Lerneffekt.

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Verwendete Quellen:

  • Ginwright, S. / Cammarota, J. 2002: New terrain in youth development: The promise of a social justice approach, Social Justice, 29(4), 82-95.
  • Mitchell, T. D. 2008: Traditional vs. Critical Service-Learning: Engaging the Literature to Differentiate Two Models, Michigan Journal of Community Service Learning, Spring 2008, pp.50-65.
  • Nationales Forum für Engagement und Partizipation (Hrsg.) 2013: Service Learning in der Lehrerbildung – Engagementförderung an der Schnittstelle von Hochschule und Schule, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V., Berlin.
  • Pompa, L. 2002: Service-learning as crucible: Reflections on immersion, context, power, and transformation, Michigan Journal of Community Service, Learning, 9(1), 67-76.
  • Reinders, H. 2016: Service Learning – Theoretische Überlegungen und empirische Studien zu Lernen durch Engagement, Beltz Juventa, Weinheim/Basel.
  • Sigmon, R. L. 1994: Serving to Learn, Learning to Serve – Linking Service  with  Learning, Council  for  Independent Colleges Report.
  • Speck, K. et al. 2012: Wirkungen von Service Learning in Deutschland – Stand der Forschung, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
  • Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2013: Sozial und engagiert – Das Programm „Mehr als Forschung und Lehre“.
  • Ziai, A. 2010: Postkoloniale Perspektiven auf „Entwicklung“, in: Peripherie Nr. 120, 30., Jg. 2010, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 399-426.

Akademischer Elfenbeinturm oder innovative Talentschmiede? – Hochschulen der Zukunft

Akademischer Elfenbeinturm oder innovative Talentschmiede? – Hochschulen der Zukunft

Hochschulen und Universitäten beschreiben sich selbst gerne als Ort der Vordenker und innovativer Ideen. Doch prekäre Arbeitsbedingungen, Gelder, die an den falschen Stellen ausgegeben werden, und ein träger Verwaltungsapparat fördern oftmals eher Resignation als Innovation.

Das Hochschulnetzwerk „Bildung durch Verantwortung“ versucht dies zu ändern und schreckt dabei auch vor Selbstkritik nicht zurück. Zweimal im Jahr treffen sich Angehörige von Hochschulen und Universitäten, die über neue Lehr- und Lernkonzepte nachdenken und versuchen, die alten, schwer fälligen Kolosse zu öffnen und zu modernisieren. Ein Weg zur Öffnung der Hochschulen führt dabei etwa über das Konzept des Service Learning.

Ich gehe jedes Mal gerne zu den Tagungen, denn sie machen Hoffnungen. Leider erlebe ich selbst jeden Tag, welch ein Kampf gegen Windmühlen es darstellt, wenn man sich für einen Typus Hochschule einsetzt, welcher ein Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung mitbringt. Für Hochschulen, die sich nicht nur um sich selbst drehen, sondern sich als Teil der Gesellschaft verstehen. Für Hochschulen, die wissen, dass Bildung nur mit Innovation und Modernität zukunftsweisend sein kann. Dazu gehört auch, dass sich Hochschulen und Universitäten für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt öffnen. Ich wünsche mir, dass Menschen mit Fluchthintergrund, die vorher im wissenschaftlichen Betrieb gearbeitet haben, auch in Deutschland die Chance bekommen, akademisch Fuß zu fassen. Ich wünsche mir, dass zivilgesellschaftliches Engagement von Studierenden gefördert und ein demokratische Bildung ein selbstverständlicher Teil der Hochschulbildung wird.

Ich träume noch immer von dieser Art von Hochschule, auch wenn ich jeden Tag von neuem frustrierende Erfahrungen machen muss. Umso wichtiger ist es aber, dran zu bleiben. Denn am Ende des Tages sind auch dicke Bretter, nur Bretter.

Flucht, Asyl, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun?

Flucht, Asyl, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun?

Donald Trump gibt sich gerade alle Mühe, den Anschein zu geben, dass seine Wahlversprechen umsetzbar sind. Natürlich mache ich mir Sorgen, so wie so viele Menschen auf der ganzen Welt. Der Punkt, der mir am allermeisten zu schaffen macht, ist, dass vier Jahre eine sehr lange Zeit sind, wenn man bedenkt, wie sehr wir gerade gegen die Zeit rennen. Der menschengemachte Klimawandel ist unabwendbar und doch besteht jetzt noch eine Chance, ihn in Grenzen zu halten. Wenn nun aber ein so großes Land wie die USA über vier Jahre lang den Klimawandel leugnet, dann raubt mir das den Schlaf.

Klimawandel bedeutet in unserer Zeit nicht nur verregnete Sommer und zu warme Winter. Er bedeutet für viele Menschen auch, dass sie ihre Heimat verlieren. Wenn wir schon im Jahr 2015 von einer „Flüchtlingskrise“ gesprochen haben, dann sollten wir uns in den kommenden Jahrzehnten warm anziehen. Immer wieder hört man in den Medien, dass die Menschen in den industrialisierten Staaten, also auch ich, Einfluss haben auf Fluchtgründe von vielen Millionen Menschen. Googelt man dies, erscheinen als erstes Artikel zum Thema Waffenexporte. Doch wie sieht es mit dem Klimawandel aus? Um mich ein wenig besser darüber zu informieren, wie Klimawandel und Migration zusammen hängen, las ich den Aufsatz „Migration and Climate Change“ von Etienne Piguet, Antoine Pécoud und Paul de Guchteneire.

Klimabedingte Migration ist demnach nicht – wie häufig angenommen – eine neue Erscheinung. Ganz im Gegenteil sorgten Klimaveränderungen schon immer dafür, dass Menschen ihre Heimat kurz- oder langfristig verlassen mussten. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Forschung in diesem Bereich aber größtenteils eingestellt, weil davon ausgegangen wurde, dass die Technik den Einfluss der Natur auf den Menschen stark einschränken würde. Erst in den 1990er, nachdem der erste offizielle IPCC-Bericht den Klimawandel bekannter machte, wurde wieder vermehrt in dem Bereich Klima-Migration geforscht.

Unwetter und Wirbelstürme sind anders als Dürren und der Meeresspiegelanstieg

Flucht, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun? von Merle Becker

Flucht, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun?

Etienne Piguet, Antoine Pécoud und Paul de Guchteneire machten deutlich, dass schnell einsetzende Phänomene, wie etwa Unwetter und Wirbelstürme, eher zu einer kurzzeitigen Migration führen. In einigen Fällen kommt es sogar zu Pull-Effekten, da Menschen in die betroffenen Gebiete einwandern, um dort Hilfe zu leisten und weil Hilfsorganisationen neue Wirtschaftszweige ausbauen, die zu einer Arbeitsmigration führen. Von schnell einsetzenden Phänomenen sind viele Millionen Menschen jährlich betroffen und die Unwetter sind schwer vorhersagbar. Nur bei hoch frequentierten Phänomenen dieser Art kommt es zu einer langfristigen Abwanderung.

Dürren und Wüstenbildungen hingegen haben langsame Effekte und Auswirkungen, doch auch hier kommt es laut empirischer Studien selten zu Langzeit- und Fernmigration.

Der Meeresspiegelanstieg gilt als irreversibel und gestaltet sich linear. Für viele Menschen bedeutet die Auswanderung die einzige Möglichkeit, wenn sie vom Meeresspiegelanstieg betroffen sind. Es lässt sich sagen, dass es etwa 2,2 Prozent der Landflächen der Erde betrifft, auf welchen etwa 10,5 Prozent der Erdbevölkerung leben. Damit gilt der Meeresspiegelanstieg als größtes Problem in Bezug auf Langzeitmigration. Hier sieht man, wie viele Menschen ihre Heimat in Zukunft verlassen müssen!

Das Problem der Anpassung und Klimagerechtigkeit

Flucht, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun? von Merle Becker

Flucht, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun?

Doch für Migration spielt nicht nur das sich wandelnde Klima eine Rolle, sondern auch die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen. Klimawandel wird demnach nur zu einer Bedrohung, wenn die weiteren Bedingungen keine gute Anpassung garantieren können. So kann in den Niederlanden etwa ein größerer und stärkerer Deich gebaut werden – dies ist jedoch in vielen ärmeren Staaten nicht so einfach möglich. Nicht alle Menschen haben Zugang zu den gleichen Anpassungs-Ressourcen. Dies zeigt sich nicht nur auf globaler Ebene, sondern auch anhand von Gender- und Klassen-Unterschieden. Der gleiche Umweltfaktor kann demnach unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Menschen haben.

Vor allem die Staaten, die sich bestmöglich an die Folgen des Klimawandels anpassen können, weil sie die finanziellen Ressourcen dazu haben, sind meist für die Klimaveränderungen verantwortlich. Denn ihr heutiger Reichtum basiert auf der vorhergegangen Industrialisierung, die zu dem vermehrten und unkontrollierten Ausstoß von Treibhausgasen führte. An dieser Stelle möchte ich auf Darrel Moellendorf verweisen, der sich mit der Anpassung an den Klimawandel auseinander setzt – denn der Wandel ist bereits weit fortgeschritten und selbst bei vollständiger und sofortiger Beendigung des Ausstoßes von Treibhausgasen müsste die Weltbevölkerung noch mit gravierenden Folgen in naher und ferner Zukunft rechnen. Moellendorf selber schlägt verschiedene Möglichkeiten vor, wie eine möglicherweise gerechte Kostenaufteilung in Bezug auf die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz aussehen könnte.

Er stellt das „Polluter-Pays“-Prinzip vor. Dafür muss ein Blick in die Vergangenheit geworfen werden, um zu sehen, welche Staaten besonders viele Treibhausgase ausgestoßen haben. In diesem Fall sollen die Schuldigen haften. Problematisch an dem Ansatz sei aber, dass es in dem Sinne keine Schuldigen gibt, da die Problematik von Treibhausgase erst um das Jahr 1990 bekannt wurde, als bereits 85 Prozent der heutigen Treibhausgase in der Atmosphäre waren. Damit kann man den Staaten und Menschen nicht vorwerfen, bewusst etwas Ungerechtes getan zu haben. Zudem sind viele der Menschen, die in den Verschmutzer-Staaten leben, nicht direkt als Verschmutzer und Verschmutzerinnen zu sehen, da sie viel zu jung sind und ihre Vorfahren für den Großteil der Treibhausgase verantwortlich sind.

Flucht, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun? von Merle Becker

Flucht, Migration, Klimawandel – Und was haben wir damit zu tun?

Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, dass die Staaten zahlen, die von dem Ausstoß der Treibhausgase profitiert haben, also die Industriestaaten. Doch auch dieser Ansatz ist problematisch, da den Staaten zum Zeitpunkt der Industrialisierung und danach nicht bewusst war und nicht bewusst sein konnte, dass der Ausstoß von Treibhausgase gefährlich und unfair sein würde.

Moellendorf plädiert für das „Die Wohlhabenden zahlen“-Prinzip. Diejenigen, denen es finanziell möglich ist, müssen demnach zahlen. Welche Staaten das sind, möchte er an dem Human Development Index festlegen. Laut Moellendorf ist dies das fairste Prinzip der Verantwortung, vor allem, weil die finanziell starken Staaten sich zu einem Großteil mit den Verschmutzer-Staaten und den Profitiert-Staaten decken.

Etienne Piguet, Antoine Pécoud und Paul de Guchteneire schlagen außerdem vor, dass die Aufnahme von vor dem Klima flüchtenden Menschen (sie werden auch „Klimaflüchtlinge“ genannt, was ich schwierig finde) als Teil der gerechten Verteilung der Folgen des Klimawandels aufgefasst werden soll. Denn auch in Bezug auf die Aufnahme von Migranten und Migrantinnen werden es vor allem die industrialisierten, reichen Staaten sein, die sich so anpassen können, dass ihre gesamte Bevölkerung geschützt ist. Genau diese Staaten müssen es sich also zukünftig zur Aufgabe machen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Finanzielle Unterstützung seitens der wohlhabenden Staaten kann zudem auch bei einer Binnenmigration in ärmeren Staaten erfolgen.

Fluchtgründe und der Westen

Diese etwas philosophische Herleitung zeigt mal wieder, dass die Fluchtgründe selten getrennt von unserem Leben bestehen. So oft geht es um Waffenexporte, dubiose Partnerschaften von westlichen Regierungen mit Diktatoren oder historische Grenzziehungen, wenn wir von der Verantwortung des Westens in Bezug auf Fluchtgründe sprechen. Aber auch unser alltägliches Leben, der Luxus, ein Auto zu besitzen, jeden Tag den Fernseher, den PC und das Radio anzuhaben, sich stets neue Jenas und alle zwei Jahre ein neues Handy zu kaufen – All dies hat gravierende Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Menschen weltweit. Und genau deshalb stehen die Menschen in den industrialisierten Staaten in der Verantwortung, Menschen aufzunehmen, die in anderen Teilen der Welt nicht mehr in Würde leben können.

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Quellen:

Moellendorf, D. 2014: The Moral Challenge of Dangerous Climate Change: Values, Poverty, and Policy.

Piguet E. et al. 2011: Introduction: Migration and climate change. S. 1-33.

Was hat die Flüchtlingspolitik mit Othering und Postkolonialismus zu tun?

Was hat die Flüchtlingspolitik mit Othering und Postkolonialismus zu tun?

– Und was macht eigentlich aeWorldwide?

Wenn wir über die sogenannten „Flüchtlinge“ sprechen, dann passiert etwas: Wir machen eine Gruppe auf! Wir definieren eine große Anzahl von Menschen unter einer Bezeichnung und schreiben ihnen damit sehr viel zu. Dabei wissen wir eigentlich ganz genau, dass die Gruppe der geflüchteten Menschen extrem heterogen ist. Wir wissen, dass weltweit Menschen unterschiedlichster Religion, Herkunftsstaaten, sozialer Hintergründe, Bildungsgrade und unterschiedlichsten Alters ankommen. Und trotzdem geben wir ihnen alle den gleichen Stempel: Flüchtling. In akademischen Diskursen nennt man dieses Vorgehen auch Othering.

Mit einer Kommilition sprach ich im November 2015 darüber, was die akademischen Theorien des Postkolonialismus damit zu tun haben und wie daraus die Organisation academic experience Worldwide e.V. entstanden ist, die wir gemeinsam gegründet haben.

Ich habe in dem Vortrag an der Hochschule Hamm-Lippstadt versucht, Othering zu erklären und aufzuzeigen, wieso es sich dabei und generell bei Postkolonialismus nicht nur um rein theoretische Ideen aus dem akademischen Elfenbeinturm handelt, sondern dass wir alle jeden Tag damit in Berührung kommen. Bevor Ihr jetzt also das Video anseht, lasst Euch nochmal kurz durch den Kopf gehen, was in Bezug auf folgende „Gruppen“ jeden Tag in den Medien und in Gesprächen für Bilder konstruiert werden:

  • Nordafrikaner (#Nafri)
  • Islam
  • Flüchtlinge
  • Afrika und Afrikaner sowie Afrikanerinnen

Wo seht Ihr sonst bei Euch im Alltag Othering? Wann müsst Ihr an Postkolonialismus denken?

Vom Sollen zum Tun – Merle Becker zum Umgang miteinander

Vom Sollen zum Tun – Merle Becker zum Umgang miteinander

Im Sommer 2015 hatte ich, Merle Becker, als Gründerin von academic experience Worldwide e.V. die wunderbare Möglichkeit, einen Pecha Kucha-Vortrag zum Thema „Sinn und Unsinn“ zu halten. Für mich war klar, dass es dabei nur um den Sinn und Unsinn von stereotypen Denken und Vorurteilen gehen konnte. Und hier bezog ich mich explizit auf die Arbeit mit geflüchteten Menschen, also auf die sogenannte „Flüchtlingshilfe“. Denn: Bilder und Sprache werden zu Macht. Menschen, die vorher Ärzte waren, Mütter, Freunde, Künstler und Lehrer, werden hier ihrer Menschlichkeit beraubt und zu „Flüchtlingen“ gemacht. Um jemanden auf Augenhöhe zu begegnen, braucht es nicht viel mehr als Empathie. Wir sollten uns allen bewusst sein, dass unsere privilegierte Situation auf Glück zurückzuführen ist und nicht auf Talent oder Können.
Aber, hören Sie sich den kurzen Vortrag am besten selbst an. Und lasst mir Eure Meinung in den Kommentaren zurück!