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Ein Interview mit Psychologin, Coach und Mentaltrainerin Michaela Brugger

Michaela Brugger ist nach vielen Jahren im Sales und Marketing von namhaften Großkonzernen ausgebrochen und hat sich als Coach und Mentaltrainerin selbstständig gemacht. Im Interview erzählt mir die Psychologin und Wirtschaftswissenschaftlerin, wieso ein arbeitsfreier Raum für uns so wichtig ist und wie es uns gelingen kann, fernab von Buzzwords unseren eigenen Weg zu finden.

Michaela, Du nennst Dich Coach und Impulsgeberin für individuelle Wege – Was genau bedeutet das?

Ich helfe Menschen, die beruflich unzufrieden sind und in Krisen stecken. In den meisten Fällen sind das Menschen in Anstellungsverhältnissen. Meine Erfahrung zeigt, dass man da mit vorgefertigten 0815-Lösungen nicht weit kommt. Jeder Mensch geht mit seiner einzigartigen Persönlichkeit seinen eigenen und individuellen Weg – und muss das auch. Also wenn jemand beruflich absolut unglücklich ist, dann kann ich ihm keine Paket-Lösung anbieten, sondern ich schaue mir seine Persönlichkeit an: Was braucht dieser Mensch? Was sind seine Vorstellungen vom Leben, was sind seine Bedürfnisse und seine Werte?

Ich sehe bei meinen Kund*innen immer wieder, dass sie sich den Erwartungen irgendwelcher gesellschaftlicher Konventionen beugen oder sich anpassen wollen. Und das ist tatsächlich oft schon die erste Falle. Wenn sie realisieren, dass sie ihr Leben so gestalten dürfen, wie es zu ihnen passt, dann ist der erste Schritt schon getan, dass es ihnen besser geht.

Es gibt ja sehr viele Coaches da draußen, bei denen man sich oft fragt, was sie denn nun dazu qualifiziert, anderen Menschen zu helfen. Was hast Du denn für eine Ausbildung?

Ich beende gerade meinen Master in Psychologie und habe bereits ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium. Das gibt mir nicht nur eine akademische Grundlage, sondern auch eine gewisse Sensibilität für die Themen. Ich weiß durch mein Studium, wo sich eine Midlife-Crisis von einer psychischen Krankheit abgrenzt, die professionelle medizinisch-psychologische Hilfe erfordert. 

Ich hole meine Kund*innen meist bei beruflicher Unzufriedenheit ab, aber das Private spielt natürlich immer rein. Wenn da zu viel im Argen liegt, dann leite ich sie auch mal an eine therapeutische Stelle weiter, denn dann bin ich nicht die richtige Ansprechpartnerin. 

Themen wie Depressionen und Burnout sind immer noch ein großes Tabu in der Arbeitswelt. Und viele Menschen trauen sich zuerst zu einem Coach zu gehen, bevor sie sich eine Therapie zutrauen. Das ist ein guter Türöffner, aber man muss als Coach natürlich auch wissen, wann es Zeit ist, weiterzuleiten.

Burnout ist eines deiner Schwerpunktthemen. Gefühlt geistert dieses Wort seit 15 Jahren durch die Diskurse. Ist das ein Modethema? Oder gab es das vor 100 Jahren auch schon?

Das gab es früher auch schon, wurde aber anders genannt. Wir sprechen erst seit den 1970er Jahren von „Burnout“, aber schon Ende des 19. Jahrhunderts ist in Studien die Rede von Menschen, die extrem erschöpft waren. So litt wahrscheinlich Sissi, die Kaiserin von Österreich, unter Burnout und zudem noch unter Essstörungen. Sie hatte das Gefühl, sie könnte ihrem Staat nicht mehr gerecht werden. 

Wo unterscheidet sich denn ein Burnout von einer Depression? 

Wir können uns beides als nebeneinanderliegende Kreise vorstellen, die sich berühren und in der Mitte treffen. Ein Burnout kann dabei in eine Depression aufgehen. 

Der klarste Unterschied ist wohl, dass eine Depression im Gegensatz zum Burnout genetisch vererbt werden kann und viel tiefer geht. Während bei Depressionen das große Problem der Selbstwert darstellt, ist es beim Burnout der hohe Belastungsanspruch in allen Bereichen des Lebens.

Natürlich kann sich das überschneiden und die Abgrenzung ist nicht immer trennscharf, einfach weil es ineinander übergeht.

Du sagst, Freude und Sinn können uns vor Burnout am Arbeitsplatz schützen. Ist es denn in jedem Job möglich, Sinn zu finden?

Vielleicht bin ich da eine Optimistin, aber ich glaube schon. Wenn ich weiß, wofür ich etwas tue, und zum Beispiel weiß, dass von meinem Beitrag Arbeitsplätze abhängen, dann kann mir das einen Sinn bieten und mich motivieren. Schichtarbeiten und sehr routinierte Arbeiten erschweren natürlich diese Suche nach dem Sinn. 

Ich habe festgestellt, dass viele Angestellte sich in einem Hamsterrad der Anforderungen befinden, und die Unternehmen die Sinn-Frage ganz nach oben heben, aber diese nicht auf die einzelnen Mitarbeitenden heruntertragen. Es wäre so wichtig, den Sinn in der Arbeit wieder für alle Mitarbeitenden spürbar zu machen, statt es nur für Marketing-Zwecke zu nutzen.

Fragen wie „Was ist mein Beitrag zu diesem Gesamtwerk und wieso ist dieser Beitrag auch wichtig?“ können dabei helfen, im Job wieder zufriedener zu sein.

Woher kommt diese Suche nach dem Sinn, die plötzlich überall gefordert wird? Das war doch früher nicht so? Gibt es da Generationenunterschiede?

Ich habe einige Klientinnen über 50, die sich genauso die Sinnfrage stellen wie jüngere. Das ist weniger eine Frage des Alters, sondern vielmehr der Persönlichkeit und des Kontextes.

Ich lebe z. B. in Innsbruck und Tirol. Für mich sind die Berge unheimlich wichtig und ich verbringe viel Zeit in der Natur. Das ist mein gesunder Ausgleich. Ich sehe in meinem Freundeskreis, dass die Sinnfrage viel weniger gestellt wird, weil mein Umfeld seinen Sinn in den Bergen und in der Freizeit findet. Der Beruf ist zwar wichtig und muss auch irgendwie Freude machen, aber die Erfüllung wird oft in der Freizeit gefunden. Der Kontext ist ein anderer und der Fokus liegt nicht nur auf der Arbeit. Das ist ganz anders bei meinen Kund*innen aus Großstädten, bei denen die Arbeit einen viel größeren Lebensbereich einnimmt.

Michaela Brugger Coach beim Ski Fahren
Coach Michaela Brugger beim Ski-Fahren

Das ist spannend, besonders in Bezug auf die so oft genannte „Work-Life-Balance“. Würde Deiner Meinung nach ein sinnstiftender Beruf dafür sorgen, dass man keine Work-Life-Balance mehr braucht? Kann man in einem Job so aufgehen, dass das Privatleben keine Rolle mehr spielt?

Nein, das glaube ich nicht. Dafür ist der Mensch nicht geschaffen. Wir brauchen Erholungsphasen und private Beziehungen. Wir sind soziale Wesen.

Trotzdem sehe ich, dass wir in einer Leistungsgesellschaft mit einem enormen Fokus auf Arbeit leben. Vielleicht gibt es da auch andere Lebensmodelle, die wir anstreben sollten. Zudem finde ich das Wort „Work-Life-Balance“ schwierig. Das wirkt so messbar und linear. Damit tue ich mich schwer. Vielleicht ist ein Puzzle ein besseres Bild, in welchem viele verschiedene Teile zusammenwirken und ein gemeinsames Bild abgeben. Und diese Teile müssen individuell gewichtet werden – das ist bei jedem anders.

Du hast ja selbst innerhalb Deiner beruflichen Laufbahn einen Neustart gewagt und quasi alles noch mal auf null gesetzt. Wie kam es dazu?

Ich habe internationale Wirtschaft in der Nähe von Wien studiert und war im Anschluss beruflich viel im Ausland, in Russland und Südamerika. Über 10 Jahre lang war ich im Marketing und Vertrieb von namhaften Großkonzernen tätig. 

Vor etwa acht Jahren hat sich dann abgezeichnet, dass mir die Strukturen zu eng wurden und ich etwas Neues brauchte. Es fühlte sich an wie eine berufliche Sackgasse. Die Thematik interessierte mich nicht mehr genug, ich wolle nicht mehr „immer mehr verkaufen“. Das war zwar sicherlich kein Burnout, aber eine komplette Sinn-Krise. 

Ich hatte das Gefühl, mich irgendwo verloren zu haben. Die gestalterische, lebensfrohe Michaela, die ich von früher kannte, war nicht mehr da. Die ist mir irgendwo innerhalb meiner Karriere verloren gegangen. Ein Mentaltraining hat mir dann geholfen, diese Lebensfreude wieder zu finden.

Mentaltraining? Was genau ist das?

Im Prinzip trainiert man, seine Gedanken und Gefühle bewusster wahrzunehmen und für sich zu verstehen. Was steuert mich in meinem Handeln? Warum mache ich heute dies und nicht das? Es geht darum, aus dem reaktiven in ein proaktives Handeln zu kommen. Man lernt, sich klare Ziele zu setzen und mentale Blockaden zu lösen. 

So habe ich gelernt, dass mein klassischer Kraftfresser oder auch Glaubenssatz zum Beispiel war: „Was sollen nur die anderen denken?“

Ich suchte aber auch nach dem Training noch eine ganze Weile, bis ich mein Herzensthema fand. Erst nach ca. 1,5 Jahren habe ich die Psychologie für mich entdeckt. Und dann musste ich noch all meinen Mut zusammensuchen, um mein klassisches Umfeld zu verlassen. Das Angestelltenverhältnis zu verlassen fiel mir nicht schwer. Es war die Konfrontation mit den Meinungen und Kommentaren der anderen, die mir Sorge bereitete. Gerade in der Wirtschaft wird Psychologie immer wieder gerne abgetan. Das Mentale Training hat mir geholfen, hinter diese Ängste zu blicken und sie aufzulösen. 

Die Lust, jetzt auch nach dem Studium immer mehr zu dem Thema zu lernen und immer weiter in dem Thema zu wachsen, zeigt mir, dass es der richtige Weg war. 

Würdest Du sagen, dass Selbstständigkeit eine Lösung in der Krise ist?

Die Selbstständigkeit lockt momentan sehr viele. In der Start-Up-Szene ist das ja fast schon ein Hype, gerade wenn es um Online-Business-Modelle geht. 

Ich kenne aber auch Menschen, die nach einigen Jahren die Selbstständigkeit wieder an den Nagel gehängt haben, weil ihnen die Unsicherheit und die permanente Flexibilität zu viel wurden. 

Wenn man es ausprobieren will und sich selbstständig machen möchtet, dann soll man das machen. Das ist sicherlich immer eine wertvolle Erfahrung. Aber es ist nicht die Lösung für jeden.

Wir sollten immer aufpassen, wenn bestimmte Lebensmodelle oder Konzepte gehypt werden. Sei es New Work, sei es Work-Life-Balance, Gründung, Selbstständigkeit oder auch Visionen und Ziele. All dies sind Konzepte, die manchen Menschen helfen können und für einige Menschen sinnvoll sind. Aber wir sind alle individuell und müssen sehen, was für uns sinnvoll und hilfreich ist. 

Rätst Du Deinen Klient*innen, ihr Leidenschaftsthema zum Beruf zu machen? Im Sinne von „Such Dir einen Job, den Du liebst, dann musst Du nie mehr arbeiten“?

Das kommt sehr stark auf die Bedürfnisse des Menschen an. Bei mir war es so, dass ich in meiner Krise zunächst überlegte, den Bergführer als Ausbildung zu machen und meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. In dem Prozess merkte ich aber, dass ich diese Leidenschaft als private Leidenschaft behalten wollte. Denn am Ende geht man natürlich an Themen anders dran, wenn man mit ihnen Geld verdienen muss. Selbst wenn es eigentlich die größte private Passion war. Das muss man sich gut überlegen.

Und es hat auch nicht jeder das Bedürfnis, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Es hat auch nicht jeder das Bedürfnis eine Berufung zu finden.

Und weißt Du was? Das ist auch vollkommen okay. Das ist sogar sehr gesund. Wir sollten keinen Trends hinterherlaufen, sondern uns die Frage stellen: „Was brauche ich, um ein glückliches Leben zu führen?“

Und wir müssen uns darüber klar werden, dass es nicht darum geht, die Menschen um uns herum zu ändern – etwa unsere Vorgesetzten. Wir müssen uns fragen, wo wir einen Beitrag leisten können, etwas zu verändern. Da geht es um Selbstverantwortung und ein Verlassen der Opferrolle. 

Michaela Brugger als Coach beim Mentaltraining

Über

Michaela Brugger ist mit Leidenschaft Coach und Mentaltrainerin, wirtschaftlich, denkende Impulsgeberin und angehende Psychologin. Die Bergliebhaberin schmiss nach einer Sinnkrise ihre Konzernkarriere und hilft nun anderen Menschen dabei, herauszufinden, wie sie sich vor Burnout schützen und ein sinnstiftendes Leben führen können.
Mehr zu ihr auf der Website von Michaela Brugger.

Bei Interesse kann man sich hier für ihren Online-Kurs anmelden.